Darmstadts größtes Gebäudeensemble
Die Gesamtanlage Rhönring/Spessartring
Ein Beitrag von Nikolaus Heiss
In ganz Deutschland wurde nach dem Ersten Weltkrieg das Problem der immensen Wohnungsnot, das durch die Vielzahl an Kriegsflüchtlingen entstanden war, mit großangelegten von der öffentlichen Hand geförderten Wohnungsbauprogrammen angegangen.

Grundlage dieser Vorgehensweise war der Artikel 155 der Weimarer Reichsverfassung vom 11. August 1919, in dem als Ziel formuliert ist, „…jedem Deutschen eine gesunde Wohnung und allen deutschen Familien, besonders den kinderreichen, eine ihren Bedürfnissen entsprechende Wohnstätte zu sichern.“
Da der bis dahin privatwirtschaftlich geregelte Wohnungsmarkt nicht in der Lage war, das Problem zu lösen, entstanden in der gesamten Republik Wohnungsämter und Wohnungsbaugenossenschaften, die die staatlichen Vorgaben umzusetzen hatten. Der Wohnungsbau nahm vor allem nach der Währungsreform 1923 (nach der Inflation) und mit dem Dawes-Plan von 1924 (Reparationszahlungen) sowie der Einführung der Hauszinssteuer (Ertragssteuer auf vor 1918 entstandenes Wohneigentum) Fahrt auf.

Der soziale Wohnungsbau überwog in dieser Zeit. Es entstanden in der Weimarer Republik in den 1920er Jahren in allen Großstädten große Wohnsiedlungen in unterschiedlicher Ausprägung. Während in politisch links orientierten Gesellschaften Siedlungsformen des neuen Bauens entstanden, so in Dessau die Siedlung Törten oder in Berlin die Hufeisensiedlung, wurden andernorts eher konventionelle Formen gebaut. Insgesamt wurde in den Siedlungen Wert auf eine hohe Wohnqualität mit Licht und Luft für gesunde Wohnverhältnisse gelegt und das bei einem hohen Gestaltungsanspruch.
Unter diesen Aspekten ist die Gesamtanlage Rhönring/Spessartring in Darmstadt ein herausragendes Beispiel kommunalen Bauens aus der Zeit zwischen 1921 und 1929 und damit ein Dokument der Sozialpolitik der Weimarer Republik.
Die Architekten der rund 1.400 Meter langen Gebäudegruppe von mehr als 50 drei- bis viergeschossigen Mietwohngebäuden waren August Buxbaum und Georg Hoffmann. Sie haben eine Anlage geschaffen, die architektonisch in traditioneller Baugestaltung von großer Geschlossenheit ist und als Einheit in Erscheinung tritt. Durch die in den vergangenen Jahren durchgeführte Sanierung – in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege – konnte die ursprüngliche Qualität der Gebäudezeile wieder beispielhaft sichtbar gemacht werden. Die ursprüngliche Nutzung als sozialer Wohnungsbau ist erhalten geblieben und wurde aktuellen Bedürfnissen angepasst.


Die ästhetisch starke Wirkung der auch farblich dem Original entsprechende Restaurierung im Zusammenklang mit den Biberschwanzeindeckungen, den Klappläden und den Holz-Sprossenfenstern, ist in Qualität und Umfang herausragend. Darmstadts größtes Gebäudeensemble an der stadtbildprägenden Baumallee Rhönring/Spessartring entwickelt durch seine visuelle Kraft eine starke Wirkung auf den Betrachter, womit es einen hohen Stellenwert innerhalb des öffentlichen Lebens einnimmt.
Die denkmalgerechte Sanierung dieses Ensembles durch die Bauverein AG wurde 2020 mit dem Hessischen Denkmalschutzpreis gewürdigt.

Der Autor
Nikolaus Heiss war von 1981 bis 2010 Denkmalpfleger der Wissenschaftsstadt Darmstadt, ab 2008 zuständig für die Welterbebewerbung der Künstlerkolonie, die nach Zusammenarbeit ab 2014 mit dem Welterbeteam am 24. Juli 2021 zum Erfolg führte.