„Man verlernt nicht nur ein Musikinstrument, sondern auch jede kognitive Technik“

„Die Anbetung“ – Kritik zur Digitalisierung von Marie-Luise Wolff

Was ist schief gegangen mit der Digitalisierung. Warum sind wir so abhängig. Und warum wird ihr Zauber heute immer noch mit blinder Naivität in den buntesten Farben an einen wundersam hellleuchtenden Himmel gemalt. Und jetzt kommt KI in breitem Maße auf uns zu, nimmt uns den Rest Denken auch noch ab. Schreibt uns Referate, komponiert uns Lieder, denkt uns das vor, was wir dann denken sollen und schnell auch denken werden.

Buch von Marie-Luise Wolff

Wir merken doch, dass uns da eine zehrende Sucht aufzufressen beginnt. Dass virtuelle Kontakte langsam die analogen, die alltagsnormalen Begegnungen ersetzen.

Lieber am Computer chatten als mit Freunden im Restaurant, in der Kneipe oder zu Hause zusammen sitzen. Dabei hat doch alles so hoffnungsfroh begonnen. Die Welt wird einfacher, wir kommen uns schneller und intensiver näher, sind immer ganz (zeit-)nah und unmittelbar in Kontakt. Das war doch der Ansatz. Nur jetzt ist der Kontakt und alles daraus folgende zur Blase geworden. Das zentrale Anliegen: Werbung verkaufen, den Konsumenten bei der Stange halten.

„Eine Superideologie namens Digitalisierung“ hat Marie-Luise Wolff ihre kritische Bestandsaufnahme dieser mittlerweile fast alle Lebensbereiche beherrschenden Technologie genannt.

Ja, Ideologie, denn dieses Instrument geht weit über die Aufgabe hinaus, für das es einmal gedacht war. Nicht mehr Kommunikation, sondern „die Erosion der Kommunikation“, nicht mehr Gleichheit unter den Beteiligten, sondern unkontrollierte Monopole und Hypereichtum. Weniger, nicht mehr Unabhängigkeit, sondern am Gängelband herumgezerrter Konsument sind die Folgen.

Das alles führt uns die Autorin bestens recherchiert vor Augen. Marie-Luise Wolff ist kein Feind der Digitalisierung, im Gegenteil, als Vorstandschefin der ENTEGA AG denkt sie unternehmerisch. Sie zeigt in ihrem packenden Buch die Fehlentwicklungen auf, die vom Silikon Valley aus in die Welt getragen wurden, die uns heute weit mehr umfangen, als die einstmals richtigen Ansätze.

„Kritisch umgehen mit dem, was wir als Fortschritt und Innovation bezeichnen“, steht im Klappentext des Buches. Und Wolff zeigt im letzten Kapitel „Wegweiser“ einige Möglichkeiten auf, was im persönlichen Umgang und was mit strukturellen Verbesserungen möglich ist, um zu einem „Ende der Anbetung“ und einem gesunden Nutzen ziehen aus „dem Digitalen“ führen kann.

Damit aus der „pathetischen Überhöhung“ ein sinnvolles Umgehen mit der Technik für die Politik, die Wirtschaft und die Menschen wird. Ein spannend geschriebenes und äusserts lesenwertes Buch. Giuseppe Russo

Die Anbetung | Marie-Luise Wolff | Westend Verlag | 22 Euro