Und der Himmel war Blau
Ausstellung von Gerd Winter und Ursula van Boekel
Dr. Alisa Heinemann über die Ausstellung
Blauer Himmel. Der Blick nach oben ist weit. Da ist nichts, was die Sicht versperrt oder auch nur trübt. Eine alle Konturen auflösende Offenheit. Es wundert nicht, dass gerade die Romantiker eine Präferenz für die Farbe Blau hatten, ließ sich in ihr doch hervorragend die romantische Sehnsucht nach Ferne und Fremde ausdrücken. Die blaue Blume von Novalis ist zum Symbol eben jener Sehnsucht geworden. Dem Protagonisten in Novalis’ Text erscheint sie in einer Traumvision. Damit ist sie dem Alltag entrückt und fernab der Realität beheimatet.
Die Farbe Blau als Ausdruck der Sehnsucht und des Fernwehs bildet den Gegenpol zur Alltagswirklichkeit. Die in der Stadtkirche ausgestellten Arbeiten von Ursula van Boekel und Gerd Winter bieten beide Perspektiven an. Da ist zum einen der Blick nach oben, der geradewegs ins Blaue führt. Winters Arbeiten zeigen keine konkreten Bildinhalte. Auf die Leinwand werden Schicht für Schicht Farbflächen aufgetragen, wobei zwischen der einen und der anderen Schicht Jahrzehnte liegen können. Seine Bilder entstehen prozesshaft, in Bedacht darauf, dass Fehler Teil des malerischen Prozesses sind, der in den zur Passionszeit gezeigten blauen Arbeiten seinen (vorläufigen) Abschluss gefunden hat. Zum anderen ist da der unverstellte Blick nach unten, der Blick auf eine harte Wirklichkeit: In den ausschließlich schwarz-weißen Collagen Ursula van Boekels stehen Figuren dicht gedrängt, hinter ihnen eine Stadt, vor ihnen ein Zaun, um sie herum Stacheldraht. Die großen Augen der versehrten Gesichter blicken die Betrachtenden aus ihren Gefängnissen heraus an und machen ihr Leid auf eindringliche Art und Weise erfahrbar.
Der Ausstellungstitel Und der Himmel war blau ist zugleich auch Titel einer der ausgestellten Collagen van Boekels. Das Blau ist bei ihr nur noch als Idee vorhanden, ist Vergangenheit: Wenn etwas war, dann ist es nicht mehr. Die romantische Sehnsucht nach der Ferne kann im Oben, im Blau des Himmels keinen Ausdruck mehr finden.
Neben die räumliche Perspektive Oben / Unten tritt also eine zeitliche Dimension. Der Himmel war blau, jetzt ist er es nicht mehr. Und in der Zukunft? Gerade das Prozesshafte der Malerei Gerd Winters zeigt doch, dass das, was ist, nicht auf ewig Bestand haben muss. Unter dem Blau einer seiner ausgestellten Arbeiten scheint eine vorige Malschicht hervor. Blau legt sich über Grün und Orange. Das Vorherige ist immer noch da, aber zum Großteil übermalt und daher nur noch teilweise zu sehen. Was war und was ist, tritt hier unmittelbar zusammen und ist Zeuge der Suche nach dem gültigen Ausdruck. Was wird, ist nicht zu sagen. Aber es lasst sich ahnen: Dem Leid, das einem in den Collagen van Boekels entgegenschlägt, muss jetzt entgegengetreten werden, damit der Himmel wieder blau werden kann.