Im Gespräch mit Oberbürgermeister Hanno Benz
VORHANG AUF für Hanno Benz, seit 25. Juni 2023 Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Der neue OB erzählt exklusiv im Gespräch mit Sandra Russo vom VORHANG AUF-Magazin von seinen Plänen, Darmstadt wieder für alle zu gestalten:
Sandra Russo: Lieber Hanno Benz, gleich vorweg, wir kennen uns schon sehr lange und es käme uns wohl beiden merkwürdig vor, uns jetzt für dieses Interview zu Siezen. Deshalb bleiben wir beim Du – so viel Transparenz für unsere Leser vorab.
Hanno Benz: Ja, klar, gerne.
Hanno, unsere Fragen kommen aus unserer Redaktion und von unseren Lesern, zunächst geht es darum, wie sich die Situation für Dich nach der Wahl darstellt, ein Oberbürgermeister ohne eigene Mehrheit im Stadtparlament. Gab es denn nach der Stichwahl und in den vergangenen Wochen Anzeichen eines konstruktiven Miteinanders im Darmstädter Rathaus?
HB: Die jetzt eingetretene Situation war ja schon vor der Wahl bekannt. Der Gesetzgeber hat mit der Einführung der Direktwahl diese Möglichkeit geschaffen, und von daher sind jetzt alle demokratischen Kräfte aufgefordert, zusammenzuarbeiten. Das gilt für die Fraktionen im Stadtparlament genauso wie für die Mitglieder im Magistrat. Der Magistrat ist ein Kollegialorgan, in der der Oberbürgermeister als erster unter Gleichen eine herausgehobene Rolle hat, etwa, dass er für den Magistrat spricht und dass er die Geschäftsverteilung vornimmt. Ich habe inzwischen mit allen Dezernenten Gespräche geführt und meine Vorstellungen zur Geschäftsverteilung klargemacht, also das, was ich im Wahlkampf schon angedeutet hatte. Es gilt nach wie vor: Meine Tür ist offen. Wir sind alle gemeinsam verpflichtet, im Interesse der Menschen in unserer Stadt zusammenzuarbeiten.

Und die Dezernenten waren aufgeschlossen in diesen Gesprächen?
HB: Ich habe niemanden erlebt, der nicht bereit war, gemeinsam mit mir den besten Weg für unsere Stadt zu finden.
Welche Zuständigkeiten wirst Du verantwortlich übernehmen und warum?
HB: Der Oberbürgermeister in Darmstadt ist traditionell Kulturdezernent, das wird selbstverständlich so bleiben. Ich halte es außerdem für wichtig, dass das Thema Wirtschaft und Wissenschaft auch beim Oberbürgermeister verankert ist, denn ohne Prosperität in der Stadt sind auch alle anderen Dinge schwierig. Darüber hinaus ist es eine gute Tradition, dass der Oberbürgermeister auch für den Sport zuständig ist und dazu die organisatorischen Einheiten wie etwa Personal- und Rechtsamt.
Aus unserer Leserschaft kommt die Frage, was Du wohl unbedingt von Deinem Amtsvorgänger übernehmen oder sofort abstellen wirst?
HB: Ich werde als Beteiligungsdezernent den Vorsitz im Aufsichtsrat der HEAG Holding übernehmen und genauso in der wichtigsten Spartenobergesellschaft, der Entega AG, so wie das mein direkter Vorgänger und alle anderen Vorgänger auch getan haben.
Das ist sinnvoll, weil die Kommunalwirtschaft ein hohes Gut ist und ein wertvoller Schatz der Stadt, über den man viel steuern und verändern kann. Darum gehört das in die Hand des amtierenden und direkt gewählten Oberbürgermeisters. Dazu kommt, dass ich mich besonders der Daseinsvorsorge verpflichtet fühle und finde, dass diese in die öffentliche Hand gehört. Das sind wichtige Punkte, die ich von meinem Vorgänger übernehmen werde. Genauso ist es notwendig, mit mehr Wertschätzung und Zuwendung in der Stadtverwaltung zu agieren.
Und was wirst Du sofort abstellen?
HB: Das Regieren von oben herab. Wir werden gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern unserer Stadt die Themen diskutieren und entwickeln.
Dazu haben wir gleich die nächste Leser-Frage: Wie definierst Du für Deine Arbeit Bürgernähe?
HB: Bei diesem Thema sind aus meiner Sicht mehrere Punkte entscheidend. Die eine Frage ist, wie es gelingt, dass die Bürgerinnen und Bürger an dem, was sie unmittelbar betrifft, ehrlich mitwirken können. Da geht es um Partizipationsmöglichkeiten, die den jeweiligen Bedingungen und Projekten angepasst sind. Mit Kindern und Jugendlichen muss man andere Partizipationsformen wählen, als etwa bei der Entwicklung von Gewerbeflächen. Dabei geht es immer darum, Lösungen gemeinsam mit den entsprechenden Betroffenen zu entwickeln. Und das zweite Thema, um das es geht, ist ein ständiger Dialog mit der Bürgerschaft, eben mehr Informationen für die Bürgerinnen und Bürger. Ich werde wieder Bürgersprechstunden in Präsenz in den Stadtteilen einführen und so in ganz Darmstadt als direkt gewählter Oberbürgermeister persönlich ansprechbar sein und ich möchte mittelfristig dort, wo einst von Grün-Schwarz Bürgerbüros geschlossen wurden, diese wieder eröffnen und wo es noch keine gab, neue eröffnen. Immer mit direktem Bürger-Service vor Ort und damit die Ansprechbarkeit von Verwaltung direkt vor Ort sicherstellen – auch durch die Bürgerbeauftragte.
Das heißt also, Bürgerbeteiligung soll in Darmstadt künftig VOR den Entscheidungen der Politik stattfinden. Wir wissen aus vielen Zuschriften, dass das gefühlt oft anders gelaufen ist, nachgeschaltete Bürgerbeteiligung ist so ein Stichwort.
HB: Ich glaube, Aufgabe der Politik ist, im Interesse der Allgemeinheit und für das Allgemeinwohl zu handeln und die durchaus auch legitimen Interessen von Einzelgruppen zu berücksichtigen, sie aber nicht in den Vordergrund zu stellen. Mir ist es wichtig, Bürgerbeteiligung so zu verstehen, dass man das gemeinsam mit den Menschen entwickelt, in welche Richtung unsere Stadt gehen soll. Deswegen muss es Beteiligung künftig zwingend vor Entscheidungen geben. Allerdings kann es aber sein, dass nicht immer alle Interessen berücksichtigt werden können – das liegt in der Natur der Sache.
Was wird das erste, dringende Thema sein, was Du als Oberbürgermeister anpacken wirst?
HB: Da gibt es ganz verschiedene Themen. Über Bürgerbeteiligung und Bürgerinformation haben wir gesprochen. Ich möchte aber auch einige Fehler, die in den letzten Jahren gemacht worden sind, schnell korrigieren.
Welche Fehler meinst Du?
HB: Die sogenannte Kehrsatzung ist so ein Beispiel. Da werde ich dem Stadtparlament den Vorschlag machen, diese wieder auf die ursprüngliche Fassung zurückzuführen und dann wird die Stadtverordnetenversammlung hier erneut entscheiden müssen. Wir müssen auch die größeren Themen zügig angehen. Das gilt für Verkehrsfragen und für die Frage der Energiewende. Da muss neben Ökologie und Ökonomie auch die soziale Frage eine Rolle spielen. Nur, wenn wir die Menschen hier mitnehmen und deutlich machen, dass nur dieser Dreiklang es möglich macht, auf regenerative Energien zu setzen. Nur so schaffen wir die Energiewende. Einer der ersten Punkte wird daher ein Sozialfonds zu schaffen, gemeinsam mit den Energieversorgern für diejenigen, denen die Bundes- und Landeshilfen eben nicht reichen, die aber Hilfe nötig haben, wenn es um die Frage geht, Gas- und Stromkosten zu bezahlen und es geht darum, auch den Vereinen und Verbänden und den sozialen Institutionen zu helfen bei der Bewältigung hoher Energiekosten.
Und wie ist es mit der vieldiskutierten Verkehrspolitik?
HB: Das ist ein großes Thema und da geht es aus meiner Sicht darum, Emissionen zu verringern, die Verkehrswende zu schaffen. Es geht aber auch darum, das gemeinsam mit den Menschen zu schaffen und die teils doch sehr hart geführten Diskussionen zu deeskalieren. Das wird eine der großen Aufgaben in unserer Stadt sein.

Das wird nicht einfach ohne Mehrheit im Stadtparlament.
HB: Ich glaube schon, dass, vielleicht mit einer Ausnahme, im Stadtparlament Fraktionen arbeiten, die durchaus in der Lage sind, an der Sache orientiert zu arbeiten. Wenn gute Vorschläge kommen und wir diese mit allen Fraktionen besprechen, können gute Beschlüsse auf den Weg gebracht werden. Das mal grundsätzlich. Ich glaube aber auch, dass die großen Themen wie die Verkehrsfrage und die Wohnsituation, also die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum, nicht allein in der Stadt gelöst werden können. Darmstadt ist keine Insel. Wir müssen das gemeinsam mit den umliegenden Städten, Gemeinden und Landkreisen lösen. Auch der Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs wird nur gemeinsam gehen: Wir wollen attraktive Angebote schaffen, damit die Menschen sehr früh Busse und Bahnen nutzen und nicht mit dem Auto in die Stadt einpendeln müssen. Diese Fragen will ich sehr schnell mit den umliegenden Landkreisen und Gemeinden besprechen: Eine gemeinsame Verkehrsentwicklungsplanung und ein Bündnis für Wohnen sind die Ziele. Die Verkehrsentwicklung und Mobilitätsfragen werden die großen Aufgaben für den Dezernenten Paul Wandrey sein.
Wir haben eine Mitarbeiterin, die pendelt tagtäglich nach Darmstadt ein. Sie fragt sich oft nach einer Alternative für die abgeplante Nordostumgehung. Ich gebe die Frage mal weiter.
HB: Die Alternative zum Straßenbau ist ein massiver und zügiger Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs, eine Umgehungsstraße halte ich politisch nicht für umsetzbar. Das ist auch heute nicht mehr der Stand der Zeit und würde auch vom Kosten- und Zeitaufwand her in keinem Verhältnis stehen.
Erweitern wir das Themenfeld: Was wird denn in der Kulturpolitik künftig anders angegangen?
HB: Wir müssen unsere kulturpolitischen Leitlinien in Darmstadt überarbeiten, gemeinsam mit den Kulturschaffenden ein neues Leitbild entwickeln, was ausdrücklich alle Aspekte kulturellen Schaffens umfasst. Es gilt da, den Leuchtturm Weltkulturerbe Mathildenhöhe genauso zu integrieren, wie die Freie Szene. Das muss ein Leitbild werden, was ich gemeinsam mit dem neuen Kulturreferenten oder der neuen Kulturreferentin als Kulturdezernent voranbringen werde.
Was werden die ersten Schritte sein, den nicht mehr zu übersehenden Leerständen in der City zu begegnen?
HB: Wir haben da mit dem Citymarketing e.V. und der Darmstadt Marketing GmbH zwei Instrumente, mit denen wir Stadtentwicklung und die Entwicklung von Gewerbeflächen betreiben. Beide werden gefordert sein. Ich glaube, wenn wir über Leerstände in der City diskutieren, ist das über die Frage von Gewerbeansiedlungen hinaus zu besprechen. Es geht darum, wie wir die Innenstadt insgesamt attraktiver machen, etwa durch kulturelle Nutzung. Da braucht es sicher neue Impulse. Auch das Thema Wohnen und gastronomische Angebote sind dabei wichtig. Ganz besonders stellt sich natürlich die Frage, wie gehen wir mit der Nachnutzung des Kaufhof-Gebäudes um, wobei es da für mich an erster Stelle auch darum geht, den von der Schließung betroffenen Beschäftigten zu helfen, wenn das möglich ist. Kann das Kaufhof-Gebäude für Verwaltungseinheiten genutzt werden, wie sieht es mit einer bürgerschaftlichen Nutzung aus, mit kulturellen Angeboten? Alles Fragen, die sich die City-Managerin gemeinsam mit der Wirtschaftsförderung und mit mir als Dezernenten wird stellen müssen, das ist eine weitere große Herausforderung.

Eine mehr private Frage von unseren Lesern: Was wird sich für Hanno Benz verändern, wenn er Darmstädter Oberbürgermeister ist, wo wirst Du Dich umstellen?
HB: Gute Frage. Vielleicht werde ich mir meine Lauftermine als fixe Termine in meinen Kalender eintragen lassen, damit ich das auch wirklich mache.
Gibt es denn den Privatmensch Hanno Benz noch als Oberbürgermeister?
HB: Ja, klar. Ich werde sicher vermehrt angesprochen werden, aber ich wusste ja, was auf mich zukommt und ich freue mich auch auf das, was da kommt.
Zum Schluss: Wo verbringst Du nach einem anstrengenden Arbeitstag den Abend?
HB: Da freue ich mich, wenn ich bei meinem Freund Dieter in der Weinstube Kilian in Arheilgen ein Glas Wein trinken kann.
Lieber Hanno, vielen Dank für das Gespräch und alles Gute!
HB: Vielen Dank, hat Spaß gemacht und alles Gute für das VORHANG AUF Magazin!