„Die Menschen mitnehmen“

Im Gespräch mit Oberbürgermeister Hanno Benz

Hanno Benz ist seit etwas mehr als einem Jahr Oberbürgermeister der Wissenschaftsstadt Darmstadt. Jetzt hat sich Chefredakteur und Herausgeber des VORHANG AUF Magazins Giuseppe Pippo Russo mit ihm zum Gespräch getroffen.

Darmstadts OB Hanno Benz (li.) mit VOHRANG AUF Chefredakteur Giuseppe Pippo Russo im Gespräch, Foto: Wissenschaftsstadt Darmstadt

Giuseppe Russo (GR): Ihnen ist der direkte Kontakt zu den Menschen, Initiativen und Firmen in unserer Stadt wichtig. Wie sehen Sie das: haben Sie „guten Kontakt“ oder bedingt das Amt automatisch eine Entfernung?

Hanno Benz (HB): Als direkt gewählter Oberbürgermeister habe ich die Aufgabe, für alle Menschen ansprechbar zu sein: für Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen, Verbände und Vereine. Das ist mein Anspruch, und ich glaube, dem bin ich im letzten Jahr gerecht geworden. Ich halte regelmäßig Bürgersprechstunden in allen Stadtteilen ab, in einem offenen Format, bei dem die Menschen mit mir diskutieren können. Manchmal diskutieren sie auch untereinander, was ich sehr interessant finde, da ich mir so am besten einen Überblick darüber verschaffen kann, was die Menschen vor Ort bewegt. Darüber hinaus haben wir bei wichtigen Zukunftsprojekten die Menschen einbezogen. Zum Beispiel indem wir die Wihäuserinnen und Wixhäuser gefragt haben: Wie stellt ihr euch die Straßenbahnanbindung nach Wixhausen vor? Das war das erste Mal, dass die Menschen gefragt wurden, bevor eine politische Entscheidung getroffen wurde und nicht erst danach. Wichtig ist, ein offenes Ohr für Anliegen der Menschen zu haben, auch wenn man nicht immer helfen kann. Wichtig ist auch den direkten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern zu suchen. Um das zu ermöglichen bin ich viel unterwegs, bei Sportvereinen und Kulturinitiativen. Aber auch dort, wo es akute Probleme gibt und die Zeit drängt. Zum Beispiel, als im Akazienweg die Wärmeversorgung ausgefallen ist. Ich bin der Überzeugung die Verwaltung muss vor Ort für die Menschen da sein. Deshalb haben wir in Arheilgen die Meldestelle wiedereröffnet, um den Bürgerinnen und Bürgern den Zugang zu Verwaltungsdienstleistungen zu erleichtern.

Ich bin ständig unterwegs bei Sportvereinen und bei Kulturinitiativen.

GR: Wie ist es mit den Bürgerbüros vorangegangen, die sie ja wiedereröffnen wollten?
HB: Wir entwickeln derzeit ein Konzept. Dabei fragen wir uns: Wie können wir in bestimmten Stadtteilen Anlaufstellen wieder einrichten oder neugestalten, wo sie noch fehlen? Welche Dienstleistungen wollen wir konkret anbieten und welches Personal brauchen wir dafür? Das betrifft die Heimstättensiedlung und Kranichstein. Die entscheidende Frage, die wir nun lösen müssen lautet: wie werden wir den Bedürfnissen der Menschen im Angesicht einer schwierigen Haushaltslage gerecht.

GR: Sie haben ein selbstgestecktes Ziel ausgegeben, gemeinsam Lösungen zu finden, auch ohne eine eigene Mehrheit im Parlament. Wie ist Ihr Gefühl dabei? Ist es sehr schwierig ?
HB: Ich glaube grundsätzlich, dass das gut gelingt. Am Ende geht es nicht um Partikularinteressen. Alle demokratischen Parteien müssen zum Wohle der gesamten Stadt zur Zusammenarbeit bereit sein. Das war bei der ehemaligen Koalition nicht immer der Fall. Trotzdem ist es an vielen Stellen gelungen, Kompromisse zu finden, die die verschiedenen Interessen berücksichtigen. Diejenigen die politische Verantwortung tragen, müssen klug abwägen und zur Demokratie gehört es Entscheidungen der Mehrheit auch dann zu respektieren, wenn einem das Ergebnis nicht gefällt. Bei der Weiterentwicklung des ÖPNV in Wixhausen hätte man die Bürgerinnen und Bürger von Beginn beteiligen müssen, auch in der Frage Verlängerung der Straßenbahn. Die Kommunikation im Vorfeld war suboptimal. Ich kann es nachvollziehen, dass die Bürgerinnen und Bürger mehrheitlich entschieden haben, unter diesen Bedingungen wollen sie das nicht. Es ist für mich selbstverständlich, dass wir uns daranhalten.

Und wenn das „Nie wieder“ nicht nur eine Floskel sein soll, muss man an die Verbrechen der Nationalsozialisten erinnern.

GR: Unser September-Heft hat zwei Themenschwerpunkte: Die Brandnacht vom 11. September 1944 und der damit verbundene 80. Jahrestag, und die Wiedereröffnung der Ausstellungsgebäude auf dem Welterbe Mathildenhöhe mit dem entsprechenden Fest dazu. Welche Bedeutung haben diese beiden Ereignisse für Sie als Oberbürgermeister unserer Stadt?

HB: Zum 80. Jahrestag der Brandnacht am 11. September 1944: Kein Ereignis in Darmstadts jüngerer Geschichte hat ein größeres Trauma hinterlassen als diese Nacht. Das zeigt sich bis heute in der Stadtarchitektur. Als Darmstädter ist es mir wichtig, dieses Ereignis mit einem besonderen Programm zu würdigen. Wenn wir verhindern wollen, dass sich so etwas wiederholt, dürfen wir nie vergessen, wie es dazu kam. Wir müssen uns daran erinnern, wie Darmstadt zerstört wurde. Wenn „Nie wieder“ mehr als eine Floskel sein soll, müssen wir an die Verbrechen der Nationalsozialisten und die Folgen der Brandnacht mit nahezu 12.000 Toten erinnern. Unser Auftrag ist es, diese Erinnerung wachzuhalten. Bald wird es keine Zeitzeugen mehr geben. Nachfolgende Generationen stehen vor der Aufgabe, sich mit einer Geschichte auseinanderzusetzen, die sie selbst nicht erlebt haben, und daraus Lehren für die eigene Zukunft zu ziehen. Die aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen zeigen: Es ist wichtig, nicht nur die Fakten zu kennen, sondern auch die Emotionen und menschlichen Geschichten hinter den Ereignissen zu verstehen. Das sehe ich auch als Auftrag der Stadt, dem versuchen wir gerecht zu werden.
Dieses Jahr feiern wir auch die Wiedereröffnung des Ausstellungsgebäudes auf der Mathildenhöhe: Nach mehr als zwölf Jahren Sanierung können wir das Ausstellungsgebäude mit der Ausstellung „4–3–2–1 Darmstadt“ und Exponaten aus der Darmstädter Kultursammlung wieder eröffnen. Ebenso präsentieren wir unser Weltkulturerbe, das gesamte Ensemble Mathildenhöhe. Das feiern wir mit einem großen Fest, zu dem alle Darmstädterinnen und Darmstädter herzlich eingeladen sind.

Darmstadt hat ein hervorragendes Breitensportangebot.

GR: Darmstadt ist ohne Zweifel Kulturstadt und Wissenschaftsstadt. Sie ist nach den Olympia-Erfolgen von Lisa Tertsch und Jean-Paul Danneberg auch Sportstadt. Sie nennt sich vor allem aber auch Digitalstadt – zurecht?
HB: Zunächst gratuliere ich Lisa Tertsch und Jean-Paul Danneberg zu ihren goldenen und silbernen Medaillen. Das ist ein großartiger Erfolg, der mich auch als Sportdezernent sehr freut Denn er bestätigt uns darin, weiterhin in den Breitensport zu investieren. Trotz der prekären Haushaltssituation wird Darmstadt als Sportstadt diesen Weg konsequent fortsetzen. Nur mit einem hervorragenden Breitensportangebot können wir im Sport Erfolge wie diesen herbeiführen, aber auch Kinder und Jugendliche zur sportlichen Betätigung animieren.
Darmstadt ist auch eine Wissenschaftsstadt, was über 40.000 Studierende und zahlreiche wissenschaftliche Einrichtungen belegen. Wir haben es in den letzten Jahrzehnten verstanden den Titel „Wissenschaftsstadt“ nicht nur als schmückendes Beiwerk zu führen, sondern mit Leben zu füllen. In den Jahren sind immer wissenschaftliche Einrichtungen, aber auch Unternehmen und Start-ups hinzugekommen. Dies ist ein Grund für unser starkes Wachstum. Dieses Wachstum bringt viele verschiedene Effekte mit sich, positiv wie auch kritische. Als Wissenschaftsstadt setzen wir uns im Besonderen mit der Digitalisierung auseinander. Hier gilt: wir führen den Titel „Digitalstadt“ haben aber noch viel Potenzial, das Label auszufüllen. Mein Ziel ist es, den Ansprüchen einer Digitalstadt mit unseren IT-Dienstleistungen gerecht zu werden auch und gerade was den digitalen Bürgerservice angeht. Daran arbeiten wir intensiv. Holger Klötzner als zuständiger Dezernent hat hier meine volle Unterstützung.

Ich freue mich, im Kulturbereich keine Kürzungen vornehmen zu müssen

GR: Nun liegt uns vom VORHANG AUF Magazin ja besonders die Kultur am Herzen. Wie sieht es da aus? Wie ist Ihr Verhältnis gerade zu den kleinen, aber feinen Initiativen, Läden, Theatern?
HB: Darmstadt ist eine Kulturstadt. Gemessen an der Zahl unserer Einwohner, ist die Bandbreite an kulturellen Institutionen sehr groß. Dies ist im bundesweiten Vergleich einzigartig. Die Kulturszene bietet ein breites Spektrum: Theater, bildende Kunst und Musik. Kleine Läden, Initiativen, Galerien und Theater prägen das Stadtbild. Mein Ziel ist es, dieses vielfältige Angebot zu erhalten und zu fördern. Ich freue mich, dass es mir gelungen ist, dass im Haushalt 2024 trotz schwieriger Lage keine Kürzungen im Kulturbereich vorgenommen wurden. Dafür setze ich mich auch weiterhin ein.

GR: Wie sieht es aus mit dem von Ihnen angestoßenen Rückumzug in das Stadthaus in der Grafenstraße?
HB: Bei der Frage der zukünftigen Nutzung der Grafenstraße sowie der generellen Weiterentwicklung der Innenstadt geht es auch darum, dass die Verwaltung für die Menschen erreichbar und ansprechbar bleibt. Rund um den Luisenplatz sollen deshalb möglichst viele Verwaltungseinheiten zentriert werden. Das ehemalige Stadthaus in der Grafenstraße ist prädestiniert hierfür, da es mehreren Ämtern Platz bietet. Diese Entscheidung habe ich gemeinsam mit Stadtkämmerer André Schellenberg getroffen. Die weiteren Details sind in Planung, u.a. soll das Kulturamt wieder zurück in die Innenstadt. Wir sprechen hier allerdings von einem langfristigen Prozess, der sich über mehrere Jahre erstreckt, nicht über Monate. Zudem haben wir im ehemaligen Hugendubel Räume angemietet, um dort städtische Verwaltungseinheiten unterzubringen.

GR: In welchen Bereichen ist da noch deutliches Potential?
HB: Fest steht, der große Verwaltungsstandort in der Frankfurter Straße bleibt bestehen. Zudem überlegen wir, wie wir Verwaltungseinheiten sinnvoll zusammenführen können. Manche Maßnahmen lassen sich schnell umsetzen, andere sind logistisch herausfordernd und benötigen mehr Zeit. Darmstadt hat wegen der Brandnacht kein zentrales Rathaus. Deshalb müssen wir sorgfältig und auch kreativ planen.

GR: Ein gutes Jahr sind Sie nun im Amt. Wie fällt Ihre Bilanz aus? Was ist aus Ihrer Sicht nicht so gut gelaufen, wo gibt es noch viel zu tun?
HB: Mit meiner Wahl haben die Menschen deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sie kein „Weiter-so“ möchten. Ich glaube, es ist an vielen Stellen gelungen den Unmut vieler Bürgerinnen und Bürger über die frühere Politik abzumildern. Wir haben gezeigt, dass es auch anders geht. Daran möchte ich weiterarbeiten. Ich will ansprechbar und bürgernah sein, den Menschen nichts aufzwingen, sondern gemeinsam mit ihnen die Stadt entwickeln. Das hat bisher an vielen Stellen gut funktioniert. Das ist ein neuer Stil.

GR: In diesen schwierigen Zeiten haben Sie sicher ein tragendes Motto, das Ihnen hilft, Probleme in Angriff zu nehmen und zu lösen.
HB: Es ist immer ratsam, sich in die Perspektive des Gegenübers zu versetzen, um zu verstehen, was ihn bewegt. Gelingt das, ist man auf einem guten Weg, Politik gemeinsam zu gestalten.

GR: Meine traditionell letzte Frage: Welche Frage sollte ich Ihnen noch stellen?
HB: Oh, da gäbe es vieles: Verkehr, Kaufhof, Wirtschaft, Wachstum, Wohnen und so weiter. Aber vielleicht: Was macht der OB, wenn er nicht im Amt ist? Dann kann ich sagen, dass ich Zeit mit meiner Familie verbringe, laufe und hoffentlich die Zeit finde, ein gutes Buch zu lesen.

GR: Vielen Dank für das Gespräch.