Der Aufpasser
Eine sommerliche Geschichte mit drei Alternativenden – aktuell und brandgefährlich
»Ich liebe dich«, murmelte Stefan mit belegter Stimme und zog Cornelia etwas enger an sich. Im Lagerfeuer knisterten die trockenen Äste. Der Himmel war wolkenlos, der Mond zeigte eine zarte Sichel. Cornelia fühlte sich nicht wohl. Sie hatte Angst. »Wenn uns heute Nacht jemand überfällt …«, flüsterte sie und ihr Körper wurde steif. Angestrengt schaute sie in die Flammen.
»Quatsch«, kommentierte ihr Lebensgefährte etwas lauter als notwendig. »Ein paar Meter hinter uns liegt das Maschinenbaugebäude der Technischen Universität. Wer soll uns hier überfallen? Nachher, wenn wir auf deinen Geburtstag angestoßen haben, kriechen wir gemütlich in unser Zelt und genießen eine romantische Nacht.«
Wild zelten an einem lauschigen Sommerabend, das war eine seiner Ideen. Er wollte etwas Spannung in sein Leben bringen.
»Da hinten raschelt es«, wisperte Cornelia aufgeregt und knipste die Taschenlampe an, die sie in ihrem Schoß bereit gelegt hatte. Sie musste nicht lange den Lichtkegel hin- und herschwingen lassen, bevor dieser einen Mann traf. Die große klobige Gestalt näherte sich langsam. Ein ernst dreinblickender Riese schälte sich aus der Dunkelheit. »Darf ich mich einen Augenblick zu Ihnen setzen?«, fragte er. Der Fremde ging auf der anderen Seite des Lagerfeuers in die Hocke. Geräuschvoll ließ er einen Leinensack, den er geschultert hatte, ins Gras fallen. Der Feuerschein beschien sein Gesicht. Cornelia starrte gespannt darauf, wie eine Wahrsagerin auf ihre Kristallkugel. Die riesige Knubbelnase bildete den Mittelpunkt. Dagegen wirkten die Augen klein. Sie lagen eng beieinander. Die Augenbrauen waren schwarz und buschig. Den Mund entdeckte Cornelia ganz zuletzt. Er war eine schmale Linie. Das Gesicht hatte wenig Menschliches an sich, es wirkte maskenhaft. Cornelia überlief es eiskalt.
»Entschuldigen Sie die Störung«, begann der Fremde endlich, »ich bin der Forstgehilfe und will nach dem Rechten sehen.«
»Ach so«, atmete Stefan erleichtert auf. »Wir haben es uns hier etwas gemütlich gemacht. Der Abend ist so schön. Morgen früh räumen wir natürlich auf. Das versteht sich doch von selbst!«
»Das versteht sich doch von selbst«, wiederholte der Fremde gedehnt. Langsam streckte er seinen Arm aus, schnappte nach einem glimmenden Ast, der außerhalb der Feuerstelle im Gras lag, und warf ihn zurück in die Flammen. »Man muss aufpassen«, sagte er und fixierte abwechselnd Stefan und Cornelia. Dann schwieg er wieder eine ganze Weile, als habe er unendlich viel Zeit. »Vielleicht wissen Sie noch, im letzten Sommer, die drei Studenten …«
»Ja«, erinnerte sich Stefan eilig, »drei junge Männer haben hier in der Gegend im Wald gezeltet. Sie sind spurlos verschwunden. Das stand wochenlang in der Zeitung.«
»Stimmt!«, erwiderte der Riese und erhob seinen schweren Körper. »Es war ein trockener Sommer, letztes Jahr. Die drei waren sehr unvorsichtig. Sie entzündeten ein großes Feuer und waren zu betrunken, um es unter Kontrolle zu halten …«
»Was ist damals passiert?«, fragte Stefan mehr an sich selbst gerichtet. Irgendwie wollte er die Antwort gar nicht wissen. Dennoch erzählte der Fremde: »Die jungen Männer mussten für ihren Leichtsinn büßen. Gefunden wurden sie nicht. Anscheinend sind sie vergraben worden.« Er bückte sich langsam und griff nach dem Sack. Cornelia sah, wie die behaarte Pranke den Leinenstoff zusammendrückte. Panik stieg in ihr auf. »Was ist in dem Sack?«, brach es aus ihr heraus. Der Fremde blickte auf, als sei er ertappt worden. Er suchte Cornelias Augen in der Dunkelheit und fand sie. Ein zaghaftes Lächeln umspielte seine Lippen, als er sagte: »In meinem Leinensack bewahre ich immer einen Klappspaten auf, für solche Fälle wie heute Nacht!« Plötzlich war da eine zeitlose Stille. Lediglich das Feuer knisterte.
Wie soll es weitergehen?