Das Wasserreservoir auf der Mathildenhöhe

Ein technisches Denkmal

von Nikolaus Heiss 

Im 19. Jahrhundert wuchs die Darmstädter Bevölkerung um ein Vielfaches. Gründe lagen in politischen Veränderungen, aber vor allem im industriellen Wachstum und dem damit einhergehenden wirtschaftlichen Aufschwung, der viele Arbeitskräfte nach Darmstadt zog. Hatte die Stadt um 1800 ungefähr 10.000 Einwohner, so zählte sie hundert Jahre später um 1900 rund 70.000.

Wasserspeicher, Foto: Nicolaus Heiss

Die Versorgung mit Frischwasser über Brunnen und Quellen wurde immer schlechter und reichte ab der Mitte des 19. Jahrhunderts für die vielen Menschen nicht mehr aus, weshalb die Stadt Möglichkeiten einer nachhaltigen Wasserversorgung erkunden ließ. Dabei ging es um die Abkehr vom bisherigen System hin zu einer Modernisierung mit Entnahme aus dem Grundwasser und Verteilung über ein Leitungsnetz und die Entsorgung über ein Kanalsystem. Gegner dieser Erneuerung argumentierten mit zu hohen Kosten und plädierten für eine Verbesserung des alten Systems, konnten sich aber nicht durchsetzen.

Zentrale Wasserversorgung und Kanalisation

1871 begann im Auftrag von Oberbürgermeister Albrecht Ohly die Planung für eine zentrale Wasserversorgung und eine Kanalisation, mit der der Berliner Baurat James Hobrecht beauftragt wurde. Geplant war eine Entnahme aus dem Grundwasser der Rheinebene. Fündig wurde man beim Griesheimer Eichwäldchen, wo schließlich aus sechs 60 Meter tiefen Rohrbrunnen mit Hilfe zweier Dampfmaschinen ausreichend Wasser in sehr guter Qualität gepumpt werden konnte. Dieses Wasser wurde über das inzwischen gebaute Rohrleitungsnetz ab 1880 zum Wasserhochspeicher auf der Mathildenhöhe gepumpt, der mit einem Fassungsvermögen von 4.700 Kubikmeter in zwei Kammern dafür sorgte, dass der Druck in den Leitungen selbst bei starker Entnahme nicht absinken konnte.

Der Wasserspeicher, gebaut nach Plänen des Ingenieurs Otto Lueger, lag damals über den Darmstädter Wohngebieten.

Eröffnung im November 1880

Die Einweihung des Wasserreservoirs auf der Mathildenhöhe erfolgte Ende November 1880, wie die Darmstädter Zeitung berichtet: „Am Sonntag Vormittag hat das Wasser der neuen städtischen Leitung […] das Reservoir auf der Mathildenhöhe erreicht. Mächtig strömte es in dasselbe ein und stieg trotz des zu erfüllenden kolossalen Raumes rasch darin in die Höhe. Zahlreiche Besucher waren herbeigeströmt und gaben ihrer Freude über das glückliche Gelingen des großen Werkens lauten Ausdruck.“

Reservoir dient als Unterbau für das Ausstellungsgebäude

Die Raumarchitektur der beiden Kammern des Speichers ist durch die Reihung von Gewölben und Bögen magisch und beeindruckend. Die sparsame Konstruktion entstand nach den damaligen technischen Möglichkeiten und wurde nach Gesichtspunkten der Funktion gebaut. Der hartgebrannte wasserfeste Klinker gibt den Räumen ihre dunkle orangerote Färbung. Die Mörtelfugen wurden vermutlich durch Beimengung von Hühnereiweiß wasserdicht gemacht. Das Flachdach des Bauwerks diente bis zum Bau des Ausstellungsgebäudes als Aussichtsterrasse. 1908 nutzte Joseph Maria Olbrich das Reservoir als Unterbau für das Ausstellungsgebäude und verlieh so dem eingeschossigen Bau seine monumentale Wirkung. Der Speicher erfüllte seine Aufgabe bis 1994 und wurde stillgelegt, als der neue größere Speicher auf dem Oberfeld in Betrieb ging. Erst ab diesem Zeitpunkt konnten die eindrucksvollen Räume der Öffentlichkeit im Rahmen von Führung zugänglich gemacht werden. Auch Künstler erhielten in den Folgejahren die Möglichkeit, mit optischen und akustischen Installationen die geheimnisvolle Raumwirkung zur Geltung zu bringen und zu steigern. Nach der Sanierung des Ausstellungsgebäudes wird eine der beiden Kammern wieder für die Öffentlichkeit zugänglich sein. Der Zugang erfolgt über das neu eingerichtete Café Mathildenhöhe. Die andere Kammer wird mit Wasser gefüllt und dient in Zukunft als Wärmespeicher für das Gebäude.

Das Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe ist auf dem Dach des Wasserreservoir erbaut worden – Foto aus dem Jahr 2014

Über den Autor

Nikolaus Heiss war von 1981 bis 2010 Denkmalpfleger der Stadt Darmstadt, ab 2008 zuständig für die Welterbebewerbung der Künstlerkolonie, die nach Zusammenarbeit ab 2014 mit dem Welterbeteam am 24. Juli 2021 zum Erfolg führte.