Einfach nur ärgerlich
„Das ist doch lächerlich, was hier geboten wird! Ich muss am Dienstag unbedingt nach Dieburg fahren, da soll an Karneval das pralle Leben toben. Ganz und gar anders als dieses Trauerspiel hier in Darmstadt.“
Hans-Peter Kessler steht am Straßenrand, beäugt den Gardeumzug und ist verärgert. Als Rheinländer ist er anderes gewohnt. Er will sich abwenden, nach Hause gehen. Dort ist er zwar allein, aber besser in Einsamkeit glücklich sein, als Eintönigkeit ertragen müssen, denkt der junge Student in seinem ersten Semester und macht sich auf den Weg. Da geht die Sonne auf. Ein Funkenmariechen löst sich aus der drittklassigen Tanzgruppe und lächelt gekonnt professionell an ihm vorbei. Sie dreht sich. Ihre langen braunen Haare bewegen sich schwungvoll und geben ein wunderschönes Gesicht frei. Hans-Peter fühlt den Pfeil in seinem Herzen. Diesem Gefühlsgewitter ist er nicht gewachsen. Als zukünftiger Wirtschaftswissenschaften denkt er wirres Zeug: Wachstum, Wachstum, nur fünf Prozent und allen geht es gut, sagen die, die davon profitieren. Totaler Quatsch. Wer braucht Wachstum? Allenfalls Kinder und natürlich das Haar schöner Frauen. Wenn die seidige Haarpracht die glänzenden Augen, die rosige Wangen und den sinnlichen Mund umspielt, dann ist das für ein Zeichen nahender Konjunktur. Dann spüre ich Wachstum überall. Ich fühle mich bereit, bereit zu investieren. Manchmal nur ein Lächeln, aber wenn es sich lohnt auch mehr…
Die Schönheit stolpert. Sie stürzt. Hans-Peter ist zur Stelle. Er berührt sie. Sie berührt ihn, ganz kurz nur. Sie entschuldigt sich. Schon steht sie wieder und tänzelt davon. Die Gelegenheit ist vertan. Der Student bleibt zurück und fühlt sich nun wirklich einsam, aber ihm fehlt der Mut, ihr hinterherzulaufen, sie zu schnappen und ihr zu sagen, wie wunderschön sie ist. Resigniert dreht er ihr den Rücken zu und geht nach Hause. Wenige Hundert Meter später kommt er an einer Tankstelle vorbei. Um die Langeweile des Sonntagnachmittags zu umgehen, beschließt er, eine Zeitschrift zu kaufen. Eine mit vielen bunten Bildern und dem neuesten Tratsch und Klatsch aus einer Welt, die er nur aus diesen Zeitschriften kennt. Als er bezahlen will, zuckt er zusammen. Der Geldbeutel ist verschwunden.