September 2023
Familienbande
Schwer lag sein Körper auf der knallroten Ledercouch. Gemeinsam mit seiner Ehefrau hatte er sie vor ein paar Wochen gekauft. Lange schon war die Anschaffung geplant gewesen, die Meinungen darüber, wie die Couch aussehen sollte, waren unterschiedlich. Viele Diskussionen mussten geführt werden, meist unerquickliche und für ihn sehr nervige, er war eher der praktische Typ, sie hatte ästhetische Ansprüche. Irgendwann war eine Entscheidung getroffen worden, der Preis überzeugte, die Farbe und die Funktionalität ebenfalls. Es freute ihn. Da war eine gelebte Gemeinsamkeit zwischen ihm und seiner Ehefrau, eine neue Erfahrung. Eigentlich liebte er seine Frau, warum sonst hätte er sie heiraten sollen? Dennoch nahmen die Streitigkeiten in der letzten Zeit an Häufigkeit und Intensität zu. Er wusste nicht warum? Es nervte einfach nur.
Jetzt lag er auf der neu gekauften Couch und es fiel ihm schwer, zu Bewusstsein zu kommen. Was war geschehen? Warum fühlte er sich so matt? Schwer waren seine Augenlider und schwer lag etwas in seiner Hand. Mit aller Kraft, die er aufbringen konnte, öffnete er erst langsam die Augen, richtete sich auf und blickte auf den Hammer, dessen Stiel in seiner rechten lag. Ein Schreck durchzuckte ihn und seine Hand schleuderte das Werkzeug zur Seite. Entsetzt verfolgten seine Augen die Flugbahn. Wie in Zeitlupe drehte sich der Stiel durch die Luft und landete mit dem Eisen voran und einem grausamen Geräusch auf etwas Weichem und durch und durch rot Getränktem.
„Helene“, schrie der gutgekleidete Mann, als ihn offene Augen aus dem eingeschlagenen Kopf seiner Frau heraus anstarrten. Ein Fluchtreflex übermannte ihn. In Panik geraten wollte er aufstehen, verfing sich in einer Decke, die ihm zu Füßen lag, stolperte und fiel auf die Leiche.
Er umarmte seine Ehefrau, womöglich das letzte Mal und es ekelte ihn. In diesem Moment klingelte es an der Haustür. Der Mann schrie und drückte sich fort von dem leblosen Körper. Blut verteilte sich auf seiner Kleidung und an seinen Händen. Nun klopfte es an der Tür und jemand rief: „Polizei, machen Sie auf!“
Wie in Trance stolperte der Mann in Richtung Eingangstür und öffnete. Ein Polizist sagte: „Die Nachbarn haben uns informiert“, der andere stierte auf die blutverschmierte Kleidung des Mannes, stieß ihn zur Seite, eilte ins Wohnzimmer und sah den Schlamassel. Er zog die Dienstwaffe und befahl, die Hände zu heben. Der angesprochene gehorchte und wehrte sich nicht, als ihm die Handschellen angelegt wurden. Vor dem Mehrfamilienhaus standen die ersten Nachbarn. Blau blinkte das Polizeifahrzeug und blockierte zwei PKWs, die auf dem Parkplatz der Wohnanlage standen. Als die Polizisten mit ihrem Gefangenen an einem roten BMW vorbeiliefen, grinste der Fahrer und zog sich die Schirmmütze noch etwas tiefer in sein Gesicht.
Er wartete noch einen Augenblick, anschließend küsste er die Ampulle mit den KO-Tropfen und steckte sie samt den Einmalhandschuhen und dem Prepaid-Handy, mit dem er die Polizei benachrichtigt hatte, in einen kleinen Beutel. Diesen würde er später irgendwo entsorgen. Jetzt konnte er in aller Ruhe warten und dem Schauspiel zusehen. Er konnte die Freude, die ihn erfüllte, genießen, denn er hatte sich nicht nur seiner Schwester, die ihn sein Leben lang drangsaliert hatte, entledigt, sondern auch seinen Schwager, diesen Großkotz, für viele Jahre hinter Gitter gebracht.