Der große Woog
Landgraf Georg I. entwickelte Darmstadt im 16. Jahrhundert von einer Ackerbürgerstadt zur fürstlichen Residenz
von Nikolaus Heiss
Es ist bedauerlich, dass Darmstadt nicht an einem Fluss liegt, aber schön ist, dass wir mitten in der Stadt einen großen Badesee haben, den großen Woog. Wie ist er entstanden?
Als Darmstadt im 16. Jahrhundert eine kleine vernachlässigte Stadt in der Landgrafschaft Hessen-Kassel war, erbte 1567 der jüngste Sohn des Landgrafen Philipp des Großmütigen Georg I. die Obergrafschaft zusammen mit einigen Dörfern. Georg zog daraufhin zusammen mit 19 Dienern und 17 Pferden von Kassel nach Darmstadt. Er fand ein niedergebranntes Schloss vor und musste sich von Darmstädter Einwohnern Hausrat ausleihen, um überhaupt darin wohnen zu können. Georg war ein junger Fürst Anfang 20 mit einem Kopf voller Ideen und genügend Geld. Er verwandelte Darmstadt im Laufe seiner 29-jährigen Herrschaft von einer Ackerbürgerstadt in eine fürstliche Residenz. So kaufte er das Hofgut Kranichstein und entwickelte es zu einem Mustergut mit Schafzucht, Bienenzucht und Fasanenzucht. Das Hofgut wurde zum Jagdschloss inmitten eines großen Wildgeheges für die Jagd. Aufforstungen mit Kiefern im größeren Umfang im Norden und Westen der Stadt sollten der Versorgung mit Bauholz dienen.
Was bedeutet ‚Woog‘ Als einen Woog (von wâc, einem mittelhochdeutschen Wasserwort) bezeichnet man in Teilen Südwestdeutschlands ein stehendes Gewässer. Ein Woog kann natürlichen Ursprungs oder künstlich angelegt sein. Quelle Wikipedia Es gibt beispielsweise im Osten von Rastatt einen Woogsee nördlich der Murg am westlichen Rand der sogenannten Kinzig-Murg-Rinne. In Rheinland-Pfalz gibt es den Eiswoog im Pfälzerwald, im Saarland den Möhlwoog bei Jägersburg. Der Große Woog in Darmstadt gilt als größter Innenstadtsee in Deutschland.
Darmstadt wurde größer
Georg I. ließ die Stadt außerhalb der alten Stadtmauern erweitern. Hofbeamte bauten in der Magdalenenstraße ihre Wohnhäuser nach einem einheitlichen Muster im Stil der deutschen Renaissance. Häuser mit aufwändigen Steinfassaden, aber im hinteren Teil in billigerer Fachwerkbauweise. Einige dieser Gebäude stehen heute noch und bilden als ‚Alte Vorstadt’ ein Ensemble von herausragender städtebaulicher und künstlerischer Bedeutung.
Teiche für den Fischfang
Eine weitere Idee prägt auch heute noch das Bild unserer Stadt: Die Anlage von Teichen zur Versorgung des Hofes mit Fisch, was in diesen gläubigen Zeiten und den häufigen Fastentagen ein wichtiges Anliegen der Hofgesellschaft war. Es wurden Teichgräber engagiert, die Ende des 16. Jahrhunderts fachgerecht den Backhausteich beim Jagdschloss Kranichstein und vor allem den vom Darmbach gespeisten großen Woog aushoben, der seit 1986 mitsamt den angrenzenden Bauwerken unter Denkmalschutz steht.
Der Woog wird zum Badegewässer
Im Laufe der Jahrhunderte erlebte der große Woog einige Veränderungen. War er anfangs in der Hauptsache ein Fischteich, aber auch ein Rückhaltebecken sowie ein Feuerlöschteich, so entwickelte er sich ab 1820 zum öffentlichen Schwimm- und Badegewässer.
Das erste Bauwerk zu Badezwecken war eine Insel als Holz-Pfahlbau von 1828, das knapp 100 Jahre später 1925 durch die heutige befestigte Sand-Insel mit der 1937 aufgestellten markanten Wasserrutsche ersetzt wurde. Es entstanden weitere Badehäuser an allen Seiten des Teiches, solche für Männer, Frauen und das Militär sowie ein Freibadebereich für Kinder. Erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts konnte die Stadt Darmstadt den Woog vom Fürstenhaus pachten und 1935 ganz übernehmen. Sie übernahm die Pflege und konnte Nutzen aus der Fischerei und der Eisgewinnung für die Kühlkeller der Brauereien ziehen. Die schmucken weißen Badehäuschen von 1903/04 in der Südwestecke existieren leider nicht mehr. Ab 1919 wurde die Westseite des großen Woogs zur Sportstätte mit einer 100 Meter Schwimmbahn und 1936/37 erhielt er sein heutiges Erscheinungsbild mit dem neuen 10-Meter-Sprungturm, dem Kommandoturm und der Wettkampfbahn, eingefasst durch die Betonstege. Das 1928 nach Plänen von August Buxbaum erbaute Frauenbad am Nordufer wurde wegen Baufälligkeit 1994 als Familienbad neu errichtet.
Das 1955 errichtete Vereinsheim des Darmstädter Schwimm- und Wassersport-Clubs wurde 2012 zum idyllischen Woog-Café umgebaut, von dem aus zu allen Jahreszeiten wunderbare Blicke auf den Großen Woog zu genießen sind.