Ein Rekordspieler für die Lilien

Sebastian Polter: Hoffnungsträger ja, Heilsbringer nein

Von Stephan Köhnlein

Foto: Jan Hübner

Kurz vor Transferschluss hat es beim SV Darmstadt 98 doch noch mit der Verpflichtung eines Stürmers für die vorderste Front geklappt. Sebastian Polter bringt viel Erfahrung mit, hat auch bewiesen, dass er Abstiegskampf kann. Ein Heilsbringer ist er freilich nicht, wie der Trainer, aber auch er selbst betonen.

Mit seinem ersten Einsatz für die Lilien wurde Sebastian Polter gleich zum Rekordspieler: Sieben verschiedene Bundesliga-Vereine – das hat vor ihm nur der ziemlich in Vergessenheit geratene Michael Spies in den 80er und 90er Jahren geschafft. In Polter hat der SV Darmstadt 98 einen Spielertyp, der der Mannschaft nach dem Abgang von Phillip Tietz so schmerzlich gefehlt hat. Aber auch mit seiner Persönlichkeit auf und neben dem Platz füllt Polter ein Vakuum, das Tietz hinterlassen hat.

Verlängerter Arm des Trainerteams

„Ich bin jemand, der schnell und viel kommuniziert“, sagt Polter. „Auf dem Platz kann ich Dinge ändern, wenn das Trainerteam nicht so schnell reagieren kann.“ Das seien oft Kleinigkeiten: ein Zweikampf, der anders geführt werden müsse, die Körpersprache, mit der die Mannschaft eine andere Präsenz ausdrücke oder auch Pässe und Sprintduelle.

In seiner Karriere hat Polter nicht nur viele Vereine, sondern auch zahlreiche bekannte Trainer erlebt. Sein erster Coach bei den Profis des VfL Wolfsburg war einst Felix Magath, dem seine knallharten Trainingsmethoden den Spitznamen „Quälix“ eingebracht hatten. „Ich glaube, viel schlimmer hätte es nicht kommen können“, sagt Polter grinsend und fügt sofort an: „Nein, Spaß beiseite, auch Magath bin ich sehr dankbar, weil ich da gelernt habe, nicht nur Fußball zu spielen, sondern Fußball auch wirklich zu arbeiten.“ Das habe vollen Einsatz im Training bedeutet, aber auch ein professionelles Verhalten danach, damit man alles dafür tue, um fit zu bleiben.

Tuchel sah ihn einst im Mittelfeld

Ohnehin habe er von jedem seiner Trainer gelernt. In der Saison 2013/14 war in Mainz zum Beispiel ein damals noch ziemlich unbekannter Thomas Tuchel sein Coach. „Ich habe relativ wenig gespielt, stand nur vier- oder fünfmal in der Startposition und habe dann im rechten Mittelfeld gespielt, wo er mich gesehen hat“, sagt der Angreifer. Von Tuchel habe er die Aufmerksamkeit auf die vielen kleinen Details im Training mitgenommen – sei es der erste Kontakt, das Drehen um den Gegenspieler oder der Blick über die Schulter.

Selbst von Trainern, die nicht auf ihn gebaut hätten, habe er etwas mitgenommen. Nachdem er im Herbst 2016 für die Queens Park Rangers in der 2. englischen Liga gegen Norwich City ein Tor erzielt und einen weiteren Treffer aufgelegt hatte, eröffnete ihm Trainer Ian Holloway, dass er nicht sein Spielertyp sei und im Winter gehen könne. „Das ist ehrlich, das ist direkt, das mag ich“, sagt Polter. „Das ist auch eine Art und Weise, wie ich gerne kommuniziere.“

Welche Etiketten Polter nicht gefallen

Den Klassenerhalt kann der SV Darmstadt 98 nach Einschätzung Polters nur mit Geschlossenheit und als Team schaffen. Er sei auf keinen Fall der alleinige „Heilsbringer“, was zuvor bereits Trainer Torsten Lieberknecht betont hatte, der ebenfalls viel Wert auf das Teamplay legt. Aber auch mit anderen Etiketten wie „Wandervogel“ oder „Wandstürmer“ fühlt Polter sich nicht wirklich wohl.

Den Typ Wandstürmer habe es noch gegeben, als er Profi geworden sei. „Der war vorne drin, hat den Ball abgelegt und stand sonst nur noch in der Box zur Verfügung“, erzählt er. Heutzutage müsse jeder Spieler viel arbeiten und für die Mannschaft tun, auch nach hinten. „Deswegen habe ich mich auch noch nie darüber definiert, ein reiner Wandspieler zu sein. Ich bin jemand, der auch die Tiefe beackert, tiefe Läufe macht, um Freiraum zu schaffen“, erklärt er.

Als „Wandervogel“ sieht er sich trotz der vielen Wechsel nicht. „Zunächst mal bin ich sehr stolz auf jeden einzelnen Verein, für den ich gespielt habe“, sagt er. Teilweise habe er wechseln müssen, teilweise wollte er sich weiterentwickeln. „Für mich ist aber wichtig zu sagen, dass ich immer alles zu 100 Prozent für den Verein getan habe und tun werde – egal, ob es jetzt der siebte Bundesliga-Klub in meiner Karriere ist oder nicht. Und jetzt möchte ich einfach Darmstadt helfen.“

Foto: Jan Hübner

Sebastian Polter

Sebastian Polter wurde am 1. April 1991 in Wilhelmshaven geboren. Er begann seine Karriere als Torwart, wechselte zu Werder Bremen. Obwohl er in die Jugendauswahlmannschaft des DFB eingeladen wurde, strebte er keine Zukunft als Torhüter an, sondern wollte sich als Stürmer beweisen. Da ihm dies in Bremen nicht ermöglicht wurde, wechselte er zum SV Wilhelmshaven, wo er in einem Jahr 69 Treffer erzielte. In seinem Jahr bei Eintracht Braunschweig wurde er U16-Nationalspieler. 2007 ging Polter zum VfL Wolfsburg. Sein Bundesliga-Debüt gab er am 10. Dezember 2011 gegen seinen Ex-Verein Bremen. Zur Saison 2012/13 wechselte er auf Leihbasis zum 1. FC Nürnberg. In der Sommerpause 2013 ging er zum 1. FSV Mainz 05, ein Jahr später auf Leihbasis zum 1. FC Union Berlin. Zur Saison 2015/16 wurde Polter vom englischen Zweitligisten Queens Park Rangers verpflichtet. Anfang 2017 schloss er sich erneut Union Berlin an, mit dem er im Sommer 2019 in die Bundesliga aufstieg. Nach Querelen um einen Gehaltsverzicht während der Corona-Pandemie wurde Polter im Frühjahr 2020 suspendiert. Zur Saison 2020/21 wechselte Polter zum niederländischen Erstligisten Fortuna Sittard. Im Sommer 2021 schloss er sich Bundesligaaufsteiger VfL Bochum an. Zur Saison 2022/23 wechselte er zum FC Schalke 04. Anfang Februar 2024 wurde er für den Rest der Saison an den SV Darmstadt 98 ausgeliehen.