Der Geldbote
„Rate mal, wer dich mitten am Tag anruft?“
Irmgard Schaffner war durch das anhaltende Telefonklingeln aus ihrem Mittagsschlaf gerissen worden. „Wer ist da?“, fragte sie mit matter Stimme und noch etwas verwirrt.
„Rate doch mal“, war die jugendlich klingende Aufforderung.
Irmgard dachte nach. „Klaus, bist Du es?“
„Ja klar, wer denn sonst?“
„Ich habe dich erst gar nicht erkannt“, erwiderte Frau Schaffner.
„Bin auch ein wenig erkältet“, sagte die Stimme. „Wie geht es dir?“
„Ach ganz gut, bin halt allein. Du hast mich ja seit einer Ewigkeit nicht mehr besucht.“
„Stimmt, tut mir leid, habe momentan viel zu tun. Ich würde dich gerne zum Kaffee einladen.“
„Ach, das wäre schön. Bist du in der Gegend?“
„Bin gar nicht so weit weg. Gerne würde ich kommen, aber … “
Die entstandene Pause irritierte die alte Frau.
„Was ist?“, fragte sie zögerlich.
„Es gibt da ein kleines Problem. Das ist auch der Hauptgrund, warum ich mich bei dir melde … Ich habe Mist gebaut … “
„Was ist los? Sage schon“, erwiderte die alte Frau jetzt hellwach.
„Ich habe mich auf ein Glücksspiel eingelassen und verloren. Jetzt sitze ich hier mit Spielschulden und die wollen mich nicht gehen lassen … Die haben mich eingesperrt. Ich darf nur einmal telefonieren.“
„Das ist doch kein Problem“, sagte Irmgard ein wenig zu forsch, „Wie viel brauchst du?“
„6000 €“, kam die kleinlaute Antwort.
„Da hast du Glück. Du weißt, ich vertraue den Banken nicht mehr und habe all mein Erspartes in dem Tresor im Arbeitszimmer gelagert.“
„Ja, ich weiß, aber ich muss dir noch etwas sagen.“
„Ach Klaus, jetzt spann mich nicht auf die Folter“, reagierte Irmgard gereizt. „Ich will dir doch helfen. Du bist doch mein Enkel.“
„Die halten mich hier fest. Ich muss jemand Fremdes schicken, der das Geld abholt. Ist das okay für dich?“
„Wenn es dir hilft“, antwortete die Rentnerin.
„In einer Viertelstunde kommt einer von denen. Wäre das in Ordnung? … Wenn die mich gehen lassen, besuche ich dich … Versprochen! Ich möchte dir gerne das Geld zurückzahlen.“
„Ach Klaus. Mir ist wichtig, dass du freikommst. Der Geldabholer soll kommen.“
Das Telefonat war beendet und Irmgard war gut gelaunt. Sie pfiff vor sich hin.