Das Weihnachtsgeheimnis
Darmstadt, Sonntag der 21. Dezember 2025
Klare Luft, trocken und kalt. Es schneit seit den frühen Morgenstunden. Feine Flocken verteilen sich auf dem Darmstädter Weltkulturerbe Mathildenhöhe. Der fünffinger Turm, das Olbrichhaus, als auch die Russische Kapelle mit ihren Zwiebeltürmen sehen aus wie frisch mit Puderzucker bestreut. Dazu passen die roten Strähnen am Himmel, welche romantisch veranlagte Menschen damit erklären, dass die Engel in der himmlischen Weihnachtsbäckerei aktiv sind und leckere Dinge herstellen, die am Heiligen Abend auf Erden verteilt werden. Kriminaloberkommissar Benjamin Dobermann fühlt derzeit keine Romantik in sich. Ihm ist es verdammt kalt. Gerne hätte er an diesem Sonntag ausgeschlafen, doch daran hinderte ihn sein Diensttelefon, vor einer halben Stunde hatte es ohne Erbarmen solange geschellt, bis er endlich das Bett verlassen hatte. Kein Gewaltverbrechen war der Grund, dafür war Darmstadt einer der sichersten Städte im Lande, sondern ein Einbruch forderte Aufmerksamkeit. Und es war kein gewöhnlicher Einbruch, sondern das „Bernsteinherz von Darmstadt“, eine kunstvoll gearbeitete Brosche aus dem 18. Jahrhundert, ein Geschenk des Landgrafen an seine Gemahlin, war verschwunden. Das Schmuckstück war aus dem Ausstellungsgebäude auf der Mathildenhöhe gestohlen worden.
Schwer atmend, beide Hände tief in seinen Hosentaschen vergraben und mit verkniffenem Gesicht stiefelt der Kommissar den Nicolaiweg empor, am Lilienbecken vorbei, schnurstracks auf das Ausstellungsgebäude zu. Am Eingang begrüßte ihn die Kriminaltechnikerin Heike Eifrig, deren Nachname zu ihrer Ausstrahlung genauso gut passte, wie der Gesichtsausdruck des Kriminalisten zu seinem Namen, Dobermann.
„Es ist ganz und gar eigenartig, keine Einbruchsspuren, keine Fingerabdrücke an der Vitrine“, begann Eifrig zu berichten, „entweder der Dieb hat einen Schlüssel oder ungemein flinke Finger.
Der Kommissar lies die Kriminaltechnikerin stehen, betrat das Gebäude, um sich selbst ein Bild zu machen. „Kann ich eine Liste der Mitarbeitern des Ausstellungsgebäudes haben?“ Der Kommissar schaute sich um: „Gibt es eine Überwachungskamera?“
Frau Eifrig war in den nächsten Minuten sehr eifrig. Sie besorgte eine Liste und beantwortete die zweite Frage mit „ja, aber sie ist derzeit defekt.“
„Aha“, kommentierte Dobermann lakonisch, betrachtete die Liste und brummelte vor sich hin: „Sechs Beschäftigte hier im Haus. Da werde ich mich gleich an die Arbeit machen. Vielleicht bringt dieser Sonntag Morgen doch noch mehr Erkenntnisse, als Kälte und Müdigkeit.“