Verzweifelt zum Showdown in Kranichstein
Der aktuelle Darmstadt-Krimi von Andreas Roß
Rezension von Frank Horneff
Da hat er sich an hartem Stoff versucht, der Darmstädter Krimi-Autor und VORHANG AUF-Kollege Andreas Roß: Sexualisierte Gewalt in den Reihen der südhessischen Polizei mit einer Mordserie, die auf der Darmstädter Mathildenhöhe ihren Anfang nimmt.
Dass da ein Racheengel auf einem ausgeklügeltem Feldzug unterwegs sein könnte, darauf kommt der erfahrene Krimi-Leser schnell. Eher jedenfalls, als Roß‘ Ermittler Benjamin Dobermann, dem Roß zudem eine schrullige Hobby-Krimiautorin an die Seite stellt. Ein bisschen schräg also der Start in den aktuellen Dobermann-Krimi „Zeit vergisst nicht“ – doch wer die ungeschriebene Regel unter Rezensenten außer Kraft setzt („Gib einem Buch die ersten fünfzig Seiten, wenn es Dich dann nicht packt, leg‘ es zur Seite“) stößt bei Andreas Roß dann doch auf wendungsreiche, unterhaltsame Krimi-Kost, die es in sich hat:
Vier ermordete Kriminalpolizistinnen, Kolleginnen von Studienzeiten an, ein undurchsichtiger Kriminalrat mit schlüpfriger Super8-Filmchen-Vergangenheit, die schrullige Hobby-Autorin und eben jener Benjamin Dobermann, dessen stärkste Szenen in seiner Verzweiflung liegen, die Roß eindrücklich beschreibt.
Ja, an hartem, unbequemen Stoff hat sich Autor Andreas Roß versucht und der Versuch glückt im Verlauf der Story mehr und mehr, auch wenn Roß mit „Zeit vergisst nicht“ nicht an die erzählerische Stärke heranreicht, wie ihm das mit „Der Mäzen“ im Vorjahr gelungen ist.
Schon da hat Andreas Roß gezeigt, dass er sich auf Furioses zum Finale versteht. Und so ist das auch diesmal: Dramatischer Showdown über den Dächern von Kranichstein und ein so überraschendes wie tragisch-trauriges Ende für Ermittler Dobermann, der schließlich alle um sich hat, die ihm wichtig sind. Die braucht er auch für einen starken Schluss, der zeigt, dass es sich lohnt, sich nicht immer an Rezensenten-Regeln zu halten. Erst recht nicht an die ungeschriebenen.
Andreas Roß | Zeit vergisst nicht | Edition TZ, Roßdorf | Mai 2024 | 352 Seiten | 13,90 Euro | ISBN 978-3-9603-1032-7 | mit Illustrationen von Christoph Grundmann