Inspiration

Mit Plan, Emotion und einer Liebe zu Fans und Böllenfalltor

Foto: Ulrich/Hübner

Ein Rückblick auf 16 Monate Dimitrios Grammozis als Lilien-Coach

Er ist der erfolgreichste Trainer des SV Darmstadt 98 seit dem Bundesliga-Aufstieg vor fünf Jahren. Er hätte gerne längerfristig in Darmstadt gearbeitet. Doch der Verein wollte ihm nur einen Einjahresvertrag geben. Nun hat Dimitrios Grammozis die Lilien verlassen.

Das Wort von Victor Pálsson hat Gewicht. „Er bringt viel Herz mit, er ist emotional, und er hatte immer einen Plan, wie er spielen wollte“, sagt der Isländer in Diensten des SV Darmstadt 98 über den Trainer Dimitrios Grammozis. Pálsson hat da umfassende Erfahrung. In seiner Profi-Karriere hat er bereits für neun verschiedene Teams gespielt und schon viele Trainer und Mitspieler erlebt.
Doch die Zeit in Darmstadt sei besonders: „Als Mannschaft sind wir wirklich enorm gewachsen mit diesem Trainerteam“, sagt Pálsson. „Wir wussten alle, was wir zu tun haben und wie wir spielen sollen.“ Und auch der Teamgeist sei fantastisch gewesen: „Ich habe noch für kein Team gespielt, das so eng zusammengehalten hat.“

Aufschwung nach verpatzter Premiere

Nur knapp eineinhalb Jahre dauerte Grammozis‘ Zeit am Böllenfalltor. Er übernahm eine Mannschaft, in der es nicht mehr stimmte und die gefährlich nahe an den Abstiegsplätzen agierte. Das lange erfolgreiche System von Dirk Schuster hatte sich überlebt. Der frühere Bundesliga-Profi (Hamburger SV, 1. FC Kaiserslautern, 1. FC Köln), der davor nur als Co- und Nachwuchstrainer gearbeitet hatte, sollte es richten. Auftrag: die Mannschaft zunächst stabilisieren und dann weiterentwickeln.

Doch die Premiere gegen Arminia Bielefeld ging schief – nicht nur sportlich mit dem 0:1. Grammozis versäumte es, nach dem Spiel zu den mitgereisten Fans zu gehen und ihnen zu danken, wie das üblich ist. Auch wenn er sich später explizit bei den Anhängern entschuldigte, haben ihm das viele übelgenommen. Als einzige Erklärung reicht das aber nicht aus, wieso dem in Wuppertal geborenen Deutsch-Griechen die Herzen nicht so zuflogen wie seinen Vorgängern Schuster oder Torsten Frings.

Grammozis schaffte es in kurzer Zeit, der Mannschaft wieder Leben einzuhauchen und neben Kampf auch wieder spielerische Elemente in den Vordergrund zu rücken. Die grandiosen Leistungen mit den Siegen über Holstein Kiel und den Hamburger SV und der vorzeitige Klassenerhalt mit dem sensationellen 2:1 beim 1. FC Köln belegten das.

Blutrünstige Stimmung im Herbst

Doch in der Hinrunde der gerade abgelaufenen Saison stockte es. Die Gründe dafür waren vielfältig: ein personeller Umbruch, Verletzte oder eine unklare Hierarchie mit der zeitweisen Ausbootung von Publikumsliebling Tobias Kempe. Aber auch eine bisweilen sehr sicherheitsorientierte Taktik sorgte zumindest im Umfeld für Unmut.

Nach dem 1:3 bei Greuther Fürth und dem 2:2 im Heimspiel gegen Jahn Regensburg mit einem aufreizend verschossenen Elfmeter von Serdar Dursun und einem folgenschweren Patzer von Keeper Marcel Schuhen in der Nachspielzeit war die Stimmung bei einigen Fans blutrünstig.
In dieser Zeit zeichnete es den Verein, aber auch Grammozis aus, dass man ruhig blieb. Und wenig später ging es wieder bergauf. Von Anfang Dezember bis zur Corona-Pause blieben die Lilien in zehn Spielen hintereinander unbesiegt.

Die geplatzte Vertragsverlängerung

Doch genau in diese Zeit platzte Ende Februar ziemlich überraschend die angepeilte Vertragsverlängerung. Der Verein wollte nur um ein Jahr verlängern. Grammozis wollte eine längerfristige Perspektive und lehnte ab. Wieso dann der neue Trainer Markus Anfang einen Zweijahresvertrag erhielt, kann von den Vereinsverantwortlichen niemand stimmig erklären.
Es war eine schwierige Situation in der Zeit kurz vor der Corona-Pause und danach. Was Grammozis und sein Trainerteam mit Iraklis Metaxas und Sven Piepenbrock, aber auch die Mannschaft auszeichnete, war die Tatsache, dass sie die Saison trotz der widrigen Umstände unbeeindruckt zu Ende brachten.

Er sei bis zum letzten Spieltag voll auf die Lilien fokussiert, sagte Grammozis – und das stellten er und das Team dann mit dem 3:1 bei Bundesliga-Aufsteiger VfB Stuttgart eindrucksvoll unter Beweis. Als zweitbestes Rückrundenteam nach Zweitliga-Meister Arminia Bielefeld schloss der Verein die Saison als Tabellenfünfter ab.

Eine Liebeserklärung zum Abschied

Seine Zeit in Darmstadt sei sehr emotional gewesen. „Man kann schon sagen, dass ich mich in dieses Böllenfalltor verliebt habe mit diesen überragenden Fans“, sagte Grammozis. Umso mehr bedauert er, dass er diese Atmosphäre beim letzten Heimspiel gegen Wehen Wiesbaden wegen der Corona-Schutzmaßnahmen nicht noch einmal aufsaugen und den Fans Danke sagen konnte.
Pálsson machte keinen Hehl daraus, dass er den Abschied des Trainerteams bedauere. „Es tut ein bisschen weh, und es tut mir ein bisschen leid, weil wir das als Mannschaft und mit dem Trainerteam so gut gemacht haben und es jetzt vorbei ist. Aber so ist Fußball“, sagte er und fügt mit Blick auf den neuen Coach Markus Anfang hinzu: „Jetzt kommt ein neuer Trainer. Und dann schauen wir, welche Ideen der mitbringt.“

Zur Person

Dimitrios Grammozis (* 8. Juli 1978 in Wuppertal) spielte in der Jugend unter anderem für den KFC Uerdingen 05. Dort wurde er als 18-Jähriger in der 2. Bundesliga Stammspieler. 1998 wechselte er zum Hamburger SV. In den zwei Jahren dort konnte er sich aber nicht als Stammspieler durchsetzen. Im Sommer 2000 ging er zum 1. FC Kaiserslautern, wo er fünf Jahre spielte, unter anderem mit dem künftigen Lilien-Trainer Markus Anfang.

Zur Saison 2005/06 wechselte er zu Bundesliga-Aufsteiger 1. FC Köln, verließ den Verein aber nach einem Jahr wieder. Weitere Stationen waren Rot-Weiss Essen, der griechische Erstligist Diethnis Enosis Ergotelis und der zyprische Erstligist Omonia Nikosia, mit dem er 2010 Meister wurde, außerdem der griechische Erstligist AO Kerkyra und die zweite Mannschaft des VfL Bochum.

Dort wurde er zur Saison 2013/14 zunächst Co-Trainer der VfL-Reserve unter dem heutigen Chefcoach der Profis, Thomas Reis. Zudem trainierte er dort diverse Jugendmannschaften, war zweimal auch Interimstrainer der Profis. Im März 2018 bestand Grammozis seinen Trainerlehrgang und erhielt die Fußballlehrer-Lizenz des DFB. Am 23. Februar 2019 unterschrieb Grammozis einen Vertrag als Cheftrainer beim SV Darmstadt 98.

Die Bilanz der Lilien-Trainer der vergangenen Jahre

Bei der Punktausbeute in den vergangenen Jahren war nur Dirk Schuster in seiner ersten Amtszeit minimal erfolgreicher als Dimitrios Grammozis. Ungeschlagen an der Spitze: Kai Peter Schmitz, der die Lilien als Interimstrainer allerdings auch nur beim Sieg über Dynamo Dresden im Februar 2019 betreute.

NameAmtszeitDauer/TageSpielePunkte pro Spiel
Dimitrios Grammozis24.02.2019-30.06.2020492461,57
Kai Peter Schmitz18.02.2019-24.02.2019613,00
Dirk Schuster11.12.2017-18.02.2019434411,24
Torsten Frings28.12.2016-09.12.2017346360,97
Ramon Berndroth06.12.2016-27.12.20162130,00
Norbert Meier01.07.2016-05.12.2016157150,73
Dirk Schuster28.12.2012-30.06.201612801381,60