Eigentlich wäre der Vertrag mit Cheftrainer Torsten Lieberknecht noch bis 2023 gelaufen. Kurz vor Saisonende haben sich beide Seiten auf eine vorzeitige Ausdehnung der Zusammenarbeit bis 2025 verständigt. Darin spiegelt sich der Wunsch nach Kontinuität am Böllenfalltor wider – auch wenn der Verein damit eine Maxime aus der Vergangenheit über Bord geworfen hat.

Von Stephan Köhnlein

Als Torsten Lieberknecht im vergangenen Sommer den Trainerposten beim SV Darmstadt 98 übernahm, schlug ihm auch Skepsis entgegen. Zehn Jahre hatte er bei Eintracht Braunschweig überwiegend erfolgreich gearbeitet, doch am Ende war er mit den Niedersachsen aus der 2. Liga abgestiegen. Auch mit seinem nächsten Verein MSV Duisburg stieg er zunächst ab, verpasste dann den Wiederaufstieg und musste schließlich nach einem schleppenden Saisonstart gehen.

Fotos: Florian Ulrich

In Darmstadt blickte man nach dem unerwarteten Abgang von Trainer Markus Anfang und dem Verlust der Leistungsträger Serdar Dursun und Victor Palsson ohnehin in eine unsichere Zukunft. Die Verpflichtung neuer Spieler zog sich hin, Leistungsträger waren verletzt und dann wirbelte auch noch ein Corona-Ausbruch zu Saisonbeginn die Mannschaft durcheinander. Die ersten drei Spiele gingen verloren – nicht wenige sahen die Lilien bereits auf dem Weg in die 3. Liga.

Emotional und bodenständig

Doch der Verein blieb ruhig und Lieberknecht entpuppte sich als absoluter Glücksfall. Aus einer Mannschaft ohne Stars formte er mit fußballerischem Sachverstand und menschlichem Fingerspitzengefühl eine geschlossene Einheit, die bis zum Saisonende um den Aufstieg in die Bundesliga mitspielte.

Mit der Art, wie er Fußball spielen lässt, aber auch mit seiner emotionalen wie bodenständigen Art hat der gebürtige Pfälzer zudem dafür gesorgt, dass sich viele Menschen in Darmstadt noch stärker mit dem Verein identifizieren. Und doch kam die vorzeitige Verlängerung des ohnehin noch bis zum Sommer 2023 laufenden Vertrags um zwei weitere Jahre etwas überraschend, wenn man auf die Geschichte des Vereins in den vergangenen Jahren blickt.

Die Causa Torsten Frings und ihre Folgen

Langfristig verlängert hatten die Lilien mit einem Trainer zuletzt im Herbst 2017 mit Torsten Frings. Der war zur Rückrunde 2017 in einer ziemlich desolaten Situation zu den Lilien gekommen. Den Bundesliga-Abstieg konnte der Ex-Nationalspieler zwar nicht mehr verhindern. Aber er entfachte mit der Verpflichtung großer Namen wie Weltmeister Kevin Großkreutz oder Hamit Altintop eine Aufbruchsstimmung am beschaulichen Böllenfalltor. Er war beliebt bei Fans und Mannschaft. Nach wenigen Spielen in der 2. Liga schien der Wiederaufstieg durchaus möglich.

Aus dieser Begeisterung heraus verlängerte man Frings vorzeitig um zwei Jahre. Doch danach gelang der Mannschaft so gut wie nichts mehr. Im Dezember 2017 wurde Frings beurlaubt. Allerdings stand er danach noch zweieinhalb Jahre auf der Gehaltsliste der Lilien. Diese finanziell schmerzhafte Erfahrung war unter anderem der Grund dafür, dass der Verein im Winter 2020 dem damaligen Coach Dimitrios Grammozis nur einen Einjahresvertrag anbot.

Seit 2016 blieb kein Trainer wesentlich länger als ein Jahr

Torsten Lieberknecht

Bei Lieberknecht hat man sich erstmals seit Frings wieder für eine längerfristige Zusammenarbeit entschieden und den Vertrag mehr als ein Jahr vor Ablauf um zwei Jahre verlängert. Es ist ein Statement, dafür, dass man von der Arbeit Lieberknechts überzeugt ist. Und es spiegelt den Wunsch nach Kontinuität in Darmstadt wider. Seit dem Abschied von Dirk Schuster im Sommer 2016 hat sich kein Chefcoach wesentlich länger als ein Jahr am Böllenfalltor gehalten.

Sportchef Carsten Wehlmann erklärte, es sei nur konsequent, den eingeschlagenen Weg mit Lieberknecht ligaunabhängig fortzusetzen. „Torsten und allen Verantwortlichen hier ist es wichtig, von Kontinuität und Identifikation nicht nur zu reden, sondern sie auch zu leben.“ Die Vertragsverlängerung ermögliche dem gesamten Verein „wichtige Planungssicherheit“.

„Die Arbeit mit allen Verantwortlichen ist sehr vertrauensvoll und die Art und Weise, wie der Klub in der Stadt gelebt wird, imponiert mir total“, betonte Lieberknecht anlässlich der Vertragsverlängerung. „Ich hatte schon mehrfach betont, dass ich so lange wie möglich für einen Verein arbeiten will, wenn ich mich mit ihm identifiziere.“ Deswegen habe man sich schnell geeinigt, als der Verein mit dem Wunsch nach einer Ausdehnung der Zusammenarbeit auf ihn zugekommen sei.

Kontinuität auch im Kader

Im Kader hat Sportchef Wehlmann schon frühzeitig die Weichen gestellt und mit einem Großteil des Stammpersonals die Verträge verlängert. Beim Trainer hat man die bisherige Maxime über Bord geworfen und sich ebenfalls auf eine langfristige Zusammenarbeit festgelegt. Zwei Tage nach der Verlängerung mit Lieberknecht gab der Verein zudem die Verlängerung des Vertrags mit Torwarttrainer Dimo Wache bekannt. Der ist seit 2013 in Diensten der Lilien – so lange wie kein anderer im Trainerstab am Böllenfalltor – und steht damit nun wirklich für Kontinuität.

Zur Person: Torsten Lieberknecht (* 1. August 1973 in Bad Dürkheim) war als Spieler von seiner Jugend an für Vereine im Südwesten Deutschlands aktiv und schloss sich im Jahr 2003 Eintracht Braunschweig an.
Nach seiner Spielerkarriere trainierte er ab 2008 zehn Jahre lang die Profimannschaft der Eintracht. Später war er Trainer beim MSV Duisburg. Seit dem 8. Juni 2021 ist er Trainer des SV Darmstadt 98. Lieberknecht hat zwei ältere Brüder, ist verheiratet und hat drei Kinder.