
Was macht es mit einem Menschen, wenn er als Kind Schuld auf sich lädt und nicht dafür büßen kann? Pierre Lemaitres Psychodrama geht dermaßen unter die Haut, dass beim Lesen gewaltige Bildfluten um einen tosen.
Erst zwölf Jahre alt ist Antoine, als er zum Mörder wird. Im Zorn erschlägt er den sechsjährigen Rémi. Antoine ist starr vor Schock und weiß nicht, was er tun soll. Hilfe holen? Rémi zu seinen Eltern bringen? Weglaufen? In seiner grenzenlosen Verzweiflung sieht er nur eine Lösung: Er muss Rémi begraben. In einem übermenschlichen Kraftakt verscharrt er die Leiche im Wald und rennt nach Hause. Im Ort wird Rémi schon gesucht, bald wird die Polizei eingeschaltet. Drei Tage dauert die Suchaktion und Antoine erlebt qualvolle Stunden, in denen er jederzeit damit rechnet, dass er als Mörder entlarvt wird. Immer wieder will er sich stellen, schafft es aber nicht. Und dann kommt ein Jahrhundertsturm und erlöst den Jungen. Denn danach sind alle Spuren verwischt. Antoine ist davongekommen, aber die Schuld, die er auf sich geladen hat, begleitet ihn immer. 2011, zwölf Jahre später, holt ihn die Vergangenheit mit einer Wucht ein, der er nicht standhalten kann. Lemaitre beschreibt furchtbar ausführlich das Innenleben des Täters Antoine, der auch ein Opfer ist. Eine falsche Handlung macht ihn zum Mörder – auch wenn er nie dafür zur Verantwortung gezogen wird, büßt er lebenslang dafür.
Pierre Lemaitre | Drei Tage und ein Leben | Klett-Cotta Verlag | 20 Euro