Der große Sprung aus der Jugend zu den Profis
Die Herausforderungen für den SV Darmstadt 98 bei der Nachwuchsförderung
Ensar Arslan ist weg. Der Wechsel des 20 Jahre alten Angreifers in die Türkei war Anfang Februar nur eine Randnotiz. Kein Wunder: Bäume ausgerissen hatte er in den gut zwei Jahren bei den Lilien-Profis nicht. Doch der Fall zeigt, wo die Probleme und Herausforderungen im Übergang von Nachwuchs zu den Profis liegen.
Arslan war im November 2019 unter Dimitrios Grammozis noch als A-Jugendlicher zur ersten Mannschaft hochgezogen worden. Zum Ende der Spielzeit damals kam er zu zwei Einsätzen. Seine Sternstunde hatte er am vorletzten Spieltag 2020, als er nach seiner Einwechslung Marcel Heller den Ball selbstlos zum 3:1-Endstand gegen den SV Wehen Wiesbaden auflegte.

Insgesamt kam Arslan in den gut zwei Jahren bei den Lilien-Profis auf maue fünf Einsätze als Einwechselspieler mit gerade einmal 30 Minuten Spielzeit. Gerade zu Beginn der Karriere ist das einfach zu wenig, um im Senioren-Fußball anzukommen. Trainer Torsten Lieberknecht – durchaus ein Förderer junger Spieler – legte dem Angreifer im Winter einen Wechsel nahe, auch wenn sein Vertrag ohnehin zum Saisonende ausgelaufen wäre.
Doch Transfers zu den Drittligisten 1. FC Magdeburg und Viktoria Berlin zerschlugen sich. „Fehlender Mehrwert“ hieß es beim Tabellenführer Magdeburg zur Begründung. Das klingt hart, doch es zeigt, dass ein Nachwuchsspieler ohne Spielpraxis bei einem Zweitligisten auch einem Drittligisten nicht weiterhilft. Mit einem früheren Wechsel oder eine Leihe zu einem Regionalligisten in der vergangenen Saison wäre der Spieler unter Karrieregesichtspunkten wahrscheinlich besser beraten gewesen.
Was die Lilien Ensar Arslan zu verdanken haben
Was man Arslan zugutehalten muss, ist die Tatsache, dass ihm das letzte A-Jugend-Jahr zu einem großen Teil wegen des corona-bedingten Abbruchs verlorenging. Bei Abbruch wurde Arslan Hessenliga-Meister und Torschützenkönig mit 26 Treffern in 15 Spielen. Damit trug er maßgeblich dazu bei, dass die Lilien-A-Jugend heute in der U19-Bundesliga und damit auf einem deutlich höheren Niveau spielt.
Arslan, der im Nachwuchsleistungszentrum (NLZ) der Lilien ausgebildet wurde, ist kein Einzelfall. Jedes Jahr drängt aus den NLZ der 38 Profivereine jeweils eine komplette, gut ausgebildete U19-Mannschaft auf den Markt. Doch gerade drei Prozent dieser Spieler schaffen es – manchmal auch erst über Umwege – sich in einer der ersten beiden deutschen Ligen zu etablieren. Die Plätze bei den Profis sind rar, hart umkämpft, und der Sprung von der Jugend zu den Erwachsenen ist für viele einfach zu groß.
Frankfurter Weg für Darmstadt aktuell keine Option
Vor diesem Hintergrund wird immer wieder eine U23- oder U21-Zweitmannschaft ins Gespräch gebracht. Dort könnten junge Spieler im Seniorenbereich Erfahrung sammeln. Gerade hat Eintracht Frankfurt diesbezüglich seine Entscheidung von vor einigen Jahren revidiert. Der Bundesligist beantragte beim Hessischen Fußball-Verband (HFV) die Aufnahme einer zweiten Mannschaft, Eintracht Frankfurt II, in die Hessenliga zur Saison 2022/23.

„Mit dieser Maßnahme soll vor allem die Durchlässigkeit von jungen Talenten aus dem Nachwuchsleistungszentrum von Eintracht Frankfurt e.V. in die Lizenzspielerabteilung der Eintracht Frankfurt Fußball AG gewährleistet sein und die Durchlässigkeit zwischen ambitioniertem Jugendfußball zum Profifußball weiter erhöht werden“, hieß es in einer Mitteilung des Vereins. Zuletzt hatte die Eintracht in der Saison 2013/14 eine U23-Mannschaft, die in der Regionalliga Südwest beheimatet war. Der Verein meldete diese jedoch unter anderem aus wirtschaftlichen Gründen ab.
Bis zur Saison 2013/14 hatten auch die Lilien ein U23-Team in der Verbandsliga geführt und ebenfalls aus wirtschaftlichen Gründen zurückgezogen. Für Spieler wie Arslan wäre das eine Möglichkeit gewesen, Spielpraxis zu sammeln. Doch in Darmstadt gibt es noch immer nicht die Möglichkeiten, die der langjährige Bundesligist und Europa-League-Teilnehmer Frankfurt hat, wie der Sportliche Leiter der Lilien, Carsten Wehlmann, erklärt: „Zum gegenwärtigen Zeitpunkt und unter Berücksichtigung der infrastrukturellen sowie wirtschaftlichen Möglichkeiten ist dies für uns schwer darstellbar. Zumal eine U23 oder U21 auch auf einem gewissen Liga-Niveau verortet sein müsste, damit ein Mehrwert in der Entwicklung der Spieler erzielt werden kann.“
Ohnehin ist eine zweite Mannschaft für eine erfolgreiche Profimannschaft kein Muss. RB Leipzig beispielsweise verzichtet auf eine Zweitvertretung. Auch wenn der Verein dank der üppigen Sponsorengelder ganz andere Möglichkeiten bei der Jugendarbeit hat als die Lilien – die Nachwuchsspieler müssen auch dort den Sprung direkt zu den Profis schaffen.
Dass man den Spielern aus dem Nachwuchs den großen Sprung zu den Profis erleichtern muss, hat man auch bei den Lilien erkannt. Seit dieser Spielzeit arbeitet Ex-Spieler Pascal Pellowski als Übergangskoordinator, der sich speziell um junge Spieler kümmern soll.
Zudem kooperiert man mit Regionalligist FC Rot-Weiss Koblenz. Dort spielte vergangene Saison der Darmstädter Nachwuchsspieler Leon Müller. Diese Spielzeit sammelt Henry Jon Crosthwaite dort Spielpraxis. Ob das reicht, um den Sprung in den Profifußball zu schaffen, ist jedoch fraglich.
Was wird nächste Saison aus Clemens Riedel?

Allerdings gibt es auf einer anderen Ebene positive Erkenntnisse: Im A-Jugendlichen Clemens Riedel schaffte es erstmals seit Jahren wieder ein Nachwuchsspieler in die Startelf der Profis. Daneben ist Riedel noch für die U19 spielberechtigt, wo er auf Einsätze kommt, wenn er bei den Profis nicht spielt. Stellt sich nur die Frage, ob er auch kommende Saison auf genügend Spielzeit kommt, wenn er für die U19 zu alt ist.
Natürlich soll hier nicht verschwiegen werden, dass der SV Darmstadt 98 aktuell eine zweite Mannschaft hat. Sechs Jahre nach der Auflösung der U23-Mannschaft entschloss sich der Verein ab 2020/21 mit einer Fanmannschaft in der Kreisliga D zu starten. Dort steht sie aktuell auf Rang zwei. Als ernsthafte Option für einen Spieler, sich dort für die 2. Liga zu empfehlen, ist das – bei allem Respekt – jedoch zu wenig.