Neue Offensivpower für die Lilien

Von Stephan Köhnlein

Der eine spielte für Köln, Schalke und Mainz in der Bundesliga, der andere für Basel in der ersten Schweizer Liga. Beide waren zuletzt bei ihren Vereinen nicht mehr gefragt und wollen beim SV Darmstadt 98 wieder Spielpraxis sammeln. Doch zumindest der Start bei den Lilien lief für Christian Clemens und Samuele Campo ganz unterschiedlich.
Christian Clemens teilt mit seinem Trainer Markus Anfang ein Trauma: Das heißt SV Darmstadt 98. Es war der 26. April 2019. Der 1. FC Köln empfing am 31. Spieltag als Tabellenführer den SV Darmstadt 98, der zu diesem Zeitpunkt noch gegen den Abstieg kämpfte. Eine gute halbe Stunde war gespielt, als Flügelspieler Clemens mit Lilien-Kapitän Fabian Holland zusammenrasselte. Der Kölner musste vom Platz, seine Mannschaft verlor 1:2.
Darmstadt sicherte sich damit den Klassenerhalt. Trotz der Tabellenführung wurde der damalige Kölner Trainer Anfang nach dem Spiel beurlaubt. Clemens erhielt wenig später die schockierende Diagnose: Kreuz- und Innenbandriss im Knie. Knapp zwei Jahre später sind Anfang und Clemens nun wieder vereint – und das ausgerechnet in Darmstadt.

Clemens moniert: Keine faire Chance mehr in Köln bekommen

Clemens – wie Anfang gebürtiger Kölner – fasste nach der Verletzung bei den Geißböcken nicht mehr richtig Fuß. In der Spielzeit 2019/20 kam er am letzten Spieltag auf einen Kurzeinsatz bei den Profis. In der laufenden Saison spielte er nur in der 2. Mannschaft in der Regionalliga. „Eine faire Chance habe ich in Köln danach leider nicht bekommen. Ich habe die Vorbereitung gespielt, Tore geschossen. Der Trainer hat sich anders entschieden, jüngeren Spielern eine Chance gegeben“, sagt Clemens.
Er habe das akzeptiert, keinen Ärger gemacht und auch in der Regionalliga gespielt: „Ich hätte ja auch sagen können: „Nö, leckt mich alle am Arsch. Ich sitze das aus.“ Doch in der Winterpause löste man den ohnehin nur bis zum Saisonende laufenden Vertrag auf. Sein Vertrag bei den Lilien läuft auch nur bis Saisonende, eine eher ungewöhnliche Konstellation.
Darmstadts Sportchef Carsten Wehlmann hatte bei der Verpflichtung von einer Win-win-Situation gesprochen: „Christian erhält hier in Darmstadt die Chance auf Einsatzzeiten in der 2. Bundesliga, und wir versprechen uns eine sofortige Unterstützung, bewahren uns aufgrund der Laufzeit aber weiterhin die in dieser Pandemie wichtige Flexibilität.“

Zur Person Christian Clemens

Christian Clemens kam am 4. August 1991 in Köln zur Welt. 2001 wechselte er in die Jugendabteilung des 1. FC Köln, später kam er zunächst in der zweiten Mannschaft der Geißböcke zum Einsatz. Sein Bundesligadebüt gab er am 12. September 2010 beim 1:0-Heimsieg gegen den FC St. Pauli. In der Sommerpause 2013 wechselte er zum FC Schalke 04. Aufgrund der großen Konkurrenz auf seiner Position mit Julian Draxler oder Leon Goretzka kam er jedoch nur selten zum Einsatz. In der Winterpause der Saison 2014/15 schloss er sich dem 1. FSV Mainz 05 an. Zum 1. Januar 2017 ging er zurück nach Köln. Nachdem er in Köln nicht mehr zum Zug kam, wechselte er Anfang Januar 2021 zum SV Darmstadt 98.

Luft nach oben und eine ungewisse Zukunft

So sieht es auch Clemens. „Für mich zählt, in den kommenden vier Monaten so viel zu spielen wie möglich, wieder Fuß zu fassen und mich zurück ins Rampenlicht zu spielen“, sagt er. Was nach dem halben Jahr komme, sei im Moment nicht so wichtig. In den ersten Spielen nach seiner Verpflichtung kam er stets zum Einsatz, erst als Einwechselspieler, dann in der Startformation, ehe ihn eine Oberschenkelverletzung zurückwarf.
„Klar ist, dass bei mir noch viel Luft nach oben ist“, lautete seine erste Bilanz. Er sei froh über jede Spielminute, werde sich sicher noch steigern. Was dann nach Ende der Saison komme, wisse er noch nicht. „Für mich zählt das Hier und Jetzt. Es war nicht so selbstverständlich von Darmstadt, jemandem die Chance geben, der eineinhalb Jahre quasi nicht mehr höherklassig gespielt hat. Deswegen bin ich dem Verein sehr dankbar und versuche, das Vertrauen zurückzuzahlen“, erklärt der frühere U21-Nationalspieler.

Campo nach gutem Saisonstart nicht mehr gefragt

Eine ähnliche Ausgangsposition bei seinem Wechsel zu den Lilien hatte Samuele Campo. Beim FC Basel wollte ihn zuletzt nicht mehr haben. Bei den Lilien will er nun wieder die Freude am Fußball zurückgewinnen. Die Spielidee von Trainer Anfang kommt ihm nach eigener Aussage sehr entgegen. „Mir gefällt, wenn man probiert, von hinten herauszuspielen. Das hat mich von Beginn an angesprochen“, sagt der 25 Jahre alte Mittelfeldspieler, der kurz vor Ende der Wintertransferperiode zum SV Darmstadt 98 stieß und sich selbst als „richtigen Zehner“ bezeichnet.
Bei dem Schweizer Topclub war das Eigengewächs zuletzt nicht mehr gefragt. „Ich hatte in Basel immer verschiedene Halbjahres-Phasen. Mal habe ich gespielt, dann wieder nicht“, sagt er. In den vergangenen Jahren habe es viel Unruhe gegeben, die ständigen Trainerwechsel hätten sich ausgewirkt. In die laufende Spielzeit sei er eigentlich gut gestartet. Aber dann habe er unter Trainer und Ex-Bundesliga-Profi Ciriaco Sforza plötzlich nicht mehr gespielt. Schließlich sei ihm klar mitgeteilt worden, dass man nicht mehr mit ihm plane.

Auf der Suche nach der verlorenen Spielfreude

In Darmstadt musste er sich zumindest zunächst in Geduld üben. Zwar saß er nach fünf Tagen Quarantäne gleich auf der Bank. Doch die ersten drei Spiele (bis Redaktionsschluss dieses Magazins) kam er nicht zum Einsatz. Dabei möchte er wie Clemens in Darmstadt vor allem wieder spielen. „Ich möchte meine Qualitäten einbringen, der Mannschaft helfen mit Toren und Assists und den Spielrhythmus und die Freude am Fußball wiederfinden“, sagt er.

Geholt hat man ihn ans Böllenfalltor auch, weil man auf seine Tore baut, für die bislang vor allem Serdar Dursun und Tobias Kempe verantwortlich zeichneten. Campo gilt auch als guter Standardschütze. Das Freistoßtor gegen Eintracht Frankfurt in der Europa League vor einem Jahr sei nicht sein einziges gewesen, sagt er schmunzelnd.

Zur Person Samuele Campo

Samuele Campo wurde am 6. Juli 1995 als Sohn einer Schweizerin und eines Italieners in Basel geboren. Bereits als Sechsjähriger wurde er vom FC Basel entdeckt, und wechselte in die Jugendabteilung des Klubs. Dort durchlief er sämtliche Juniorenstufen bis zur U21. In der Rückrunde der Saison 2015/16 wechselte Campo zum damaligen Zweitligisten FC Lausanne-Sport, wo er Stammspieler wurde und am Saisonende aufstieg. In der Winterpause 2017/18 holte ihn sein Stammverein FC Basel zurück. Mit Basel gewann er 2019 den Schweizer Cup, spielte in der UEFA Europa League sowie in Qualifikationsspielen zur Champions League. Zum 1. Februar 2021 wurde Campo bis zum Saisonende die Lilien verliehen.

Noch keine Gedanken an die Zukunft

In Darmstadt trifft er auch Victor Palsson wieder, der in der Schweiz beim FC Zürich ein unangenehmer Gegenspieler war. „Es ist immer schön, solche Spieler in der eigenen Mannschaft zu haben“, sagt Campo lachend. Bis Saisonende läuft die Leihe zunächst, Darmstadt besitzt eine Kaufoption. Doch darüber macht er sich zunächst keine Gedanken. „Jetzt geht es erstmal darum, wieder Minuten in die Beine zu bekommen. Was im Sommer kommt, wird man sehen.“